Blick der Landschaft

Die Landschaft … „Schwer zu verstehen / ist nämlich die Landschaft, / wenn du im D-Zug von dahin / nach dorthin vorbeifährst, / während sie stumm / dein Verschwinden betrachtet“, schreibt W. G. Sebald, ein Gedicht, entstanden in den frühen Sechzigerjahren, das er an den Anfang des zu Lebzeiten nie veröffentlichten Bandes „Schullatein“ stellt. Das verwirrend spiegelbildliche Verhältnis von Landschaft und Beobachter, von Betrachtetem und Betrachter scheint zurückzugehen auf Sebalds Lektüre der Schriften von Maurice Merleau-Ponty, von dem er, ohne es kenntlich zu machen, später in einem Aufsatz über Gerhard Roth die Aussage übernimmt, „wir“ würden „im Schauen“ spüren, „wie die Dinge uns ansehn, verstehen, daß wir nicht da sind, um das Universum zu durchdringen, sondern um von ihm durchdrungen zu sein.“ … blickt ins Zugfenster Sebald, so hat es auch hier den Anschein, muss das Weltall interviewt haben. Merleau-Ponty beschreibt dagegen schlicht einen Eindruck, der zum Alltag nicht nur des Dichters, sondern eines jeden empfindsamen und mit den eigenen Zweifeln lebenden Menschen gehört. In „L’œil et Jillian Edelstein. W. G. Sebald l’esprit“ heißt es: „Action et passion si peu discernables, qu’on ne sait plus qui voit et qui est vu“ – ein Gedanke, den Sebald in der drei Jahre vor seinem Tod erschienenen Porträtsammlung „Logis in einem Landhaus“ auf das bildnerische Werk Jan Peter Tripps bezieht und dem er auch in seinem einzigen auf Französisch geschriebenen Gedicht Ausdruck gibt: „J’ai senti // certains jours / que c’étaient / les arbres qui / me regardaient“. In der Übersetzung von Juliette Aubert lautet dieses micro poem, das von der lebenslangen Beschäftigung Sebalds mit einer intersubjektiven Poesie erzählt:

Mir schien

an manchen Tagen
die Bäume
waren es
die mich ansahen