Der Liebe Einzelteile

Unerwartet stand ich im Münchener Museum Brandhorst vor Cy Twomblys Bild „Nini’s Painting“ von 1971, mir sein liebstes. Zuletzt sah ich es vor vier Jahren in Basel und dachte heute, es sei von dort ausgeliehen worden. Aber es ist andersherum: Seinerzeit war es als Leihgabe in die Schweiz gereist. Das große graue Gemälde, das einen gemalten Brief an eine vermisste Tote darstellt, scheint mir nachzureisen. Seine so unleserlichen wie eindringlichen Schriftzeichen richten sich auch an mich. Was du liebst, ist dein.

Die erschütternde Tristesse des Harzes, sobald du von der Landschaft absiehst, von Licht und Luft. Niedergang, Verfall, fast komplette Zerstörung der Natur, der Kultur, der Bildung, der Haltung. Die Freundlichkeit der Leute (so du auf sie zugehst) ist das reinste Wunder. Es ist genau so, wie Pasternak es in „Dr. Shiwago“ beschreibt: „Die vom Mond erleuchtete Nacht war ebenso erstaunlich wie Barmherzigkeit oder die Gabe der Hellsicht“. (St. Andreasberg, 3.3.)

Der Liebe Einzelteile.

Durch die dunkle Nacht blinken zwei gleißende Lichter – wie zwei zu tiefe Sterne. Am Berghang auf der anderen Talseite ist die obere Skiliftstation beleuchtet, damit man zu Saisonende die Liftsessel von der Seilbahn holen und einmotten kann.

Nicht, was dir fehlt, vermisst du, sondern weil es dir fehlt, glaubst du es zu vermissen.

In einer zugigen Bäckerei im 16. Arrondissement hatte ich eine Erleuchtung.

Der alte Blaise Cendrars sucht in der Ruine des Bateau-lavoir in Montmarte nach Überresten von Amedeo Modiglianis Atelier, sucht aber eigentlich – es steht ihm die Maske des Entsetzens vorm Gesicht – nach der eigenen, für immer verlorenen Jugend.

Wir haben bei Weitem noch nicht alles geliebt.

Joseph Roths Stammcafé Le Tournon liegt in Rufweite des Jardin du Luxembourg – Ausgang Odéon. Vis-à-vis der Senat. Eine ramponierte, mittels vier Schrauben an der Wand befestigte Messingtafel erinnert an Roth, ein Schwarzweißfoto zeigt ihn mit Schnauzbart und Fliege, vor sich ein Glas Weißwein, ein Notizbuch und ein abgerissenes (Theater?-)Billet, in der Hand eine filterlose Zigarette an seinem Tisch in Fensternähe, wo er 1936 geschrieben haben soll: „Eine Stunde ist ein See, ein Tag ein Meer, die Nacht eine Ewigkeit, das Erwachen der Schrecken der Hölle, das Aufstehen ein Ringen um die Helligkeit.“ (Paris-Saint-Germain, 6. März)

Bombay Bicycle Club – Everything else has gone wrong