Der Traumvogel

Wespe wütet: Wespe donnert gegen das Fenster, fängt sich, schwirrt ab, aber nicht etwa davon, o nein! Wespe kommt zurück und wütet gegen das Fenster, donnert dagegen.

Letztes Wespenbild für diesen Sommer: Du sitzt bei Tisch in Berlin, als vogelgroß für einen Augenblick (ja!) eines dieser Wespentiere vor deinem Auge hält, geradezu rüttelt, wie ein Bussard, ein Menschenaugenbussard. Als würde die Wespe in dich hineinsehen. (15.9.)

Das Kind schwimmt wie ein Hund. „Stimmt gar nicht“, sagt es empört. „Ich bin ein Pferd!“ (Burg auf Fehmarn, 21.9.)

Gekränktsein peinigt zugleich durch die erfahrene Ungerechtigkeit und die eigene Scham – du fühlst dich wortlos, wertlos, weil du so wenig vor dir bestehst wie vor irgendetwas oder irgendwem sonst.

David Bowie – Heroes
Pete Townshend – White City

Kleines Zwiegespräch auf dem Bahnsteig: „Er so – ich so – er so – und sie da so – er also so – und ich wieder so –“ – „Echt?“ – „Echt. Einfach so. Er so. Und ich?“ – „Du so, oder wie?“ – „Echt.“

Alles muss Bild werden. Selbst die Wörter und ihr Sinn: müssen Bilder werden. Und in die entstehenden Lücken strömen Vorstellungen ein.

Conrad kommt 1914 mit dem Schiff nach Hamburg. Fährt er oder läuft er durch die Stadt, bevor seine Frau Jessie und er in den Zug steigen und weiterreisen nach Berlin? Fahren sie durch Nettelnburg, Bergedorf, Reinbek? Als im Herbst der Krieg ausbricht, fliehen die beiden aus Krakau vorbei an den Orten im südlichen Polen, an denen wenig später furchtbare Schlachten toben. Conrads reisen Trakl entgegen, der im Viehwaggon, als Medikamentenakzessist, an die galizische Ostfront verbracht wird und einige wenige – drei? – Tage nach der Einschiffung des polnisch-englischen Erzählers und dessen Frau in Triest im Rakowiczer Garnisonsspital stirbt. An Bord des Schiffes, das Conrad durchs Mittelmeer und die Biskaya bringt, bemerkt er an einem Seetag im Ärmelkanal ein Zittern der Bordwand – Beben von den Druckwellen der schweren Geschütze an der belgischen Front.

Laut Walter Benjamin ist die Langeweile der Traumvogel, der die Erfahrung ausbrütet – so zitiert ihn Uwe Timm in seinem Buch über Benno Ohnesorg „Der Freund und der Fremde“.