Landgang, der zweite

Der weithin sichtbare Optische Telegraf von Brake an der Unterweser lässt mich durch die Geschichte telegrafieren, und ich lese, dass auf Kirchtürmen oder eigens dazu errichteten Gebäuden im Verlauf der etwa 70 km langen Strecke zwischen Bremerhaven und Bremen kreuzförmige Signalmaste montiert waren, an deren drei freien Armen je ein drehbarer, über Seilzüge zu bedienender Flügel acht verschiedene Positionen einnehmen konnte. Aus den 512 möglichen Stellungen wurden bestimmte für das Alphabet und einige Sonderzeichen festgelegt. Diese Signale wurden von der jeweils nächsten, gut zehn Kilometer entfernten Station mit Fernrohren beobachtet und weitergegeben. Die Stationen auf der Weserlinie waren Bremerhaven, Dedesdorf, Brake, Elsfleth, Rekum, Vorbrock, Vegesack, Oslebshausen und Bremen. Die 1846 eingerichtete Querverbindung Bremerhaven – Elmlohe – Bederkesa – Lamstedt traf bei Hechthausen auf die Elblinie.
Der „Braker Telegraph“, 1846 erbaut und nur etwa sechs Jahre lang in Betrieb, bis er als veraltet galt, meldete mittels seiner Vorrichtung auf der Turmspitze in die Wesermündung einfahrende Schiffe. Die Telegrafisten hatten zu übermitteln, welche Waren das Schiff geladen hatte, wie viele Mann zum Entladen gebraucht wurden oder ob das Schiff unter Quarantäne stand – Informationen, die möglichst vor Anlegen des Schiffs benötigt wurden, vor Einführung der optischen Telegrafie jedoch nur über bedeutend langsamere Botenschiffe überbracht werden konnten.
In seiner posthum 2018 erschienenen poetisch-philosophischen Betrachtung „Der Optische Telegraf“ schreibt der schwedische Dichter und Erzähler Lars Gustafsson: „Der Betrieb optischer Telegrafen basierte auf Signalstationen mit Winkelmasten (Semaphore), mit denen man die Buchstaben des Alphabets wiedergeben konnte. Sie gingen in England schon 1796 in Betrieb. Die Übermittlungszeit zwischen London und Portsmouth betrug nicht mehr als 15 Minuten – die Nachricht hatte sozusagen annähernd die gleiche Geschwindigkeit, die ein Flugzeug mit Hubkolbenmotor für die gleiche Strecke gebraucht hätte.
Das deutsche Äquivalent, die Linie Berlin–Koblenz, in Betrieb zwischen 1832 und 1849, bestand aus zweiundsechzig Stationen, von denen eine, Nummer 4, gelegen auf dem Telegrafenhügel in Potsdam, noch heute bewundert werden kann. Die gesamte Strecke Berlin–Koblenz belief sich auf 550 Kilometer, und bei schönem Wetter und guten Lichtverhältnissen dauerte die Synchronisierung der Signale zwischen Berlin und Koblenz hin und zurück nicht länger als 2 Minuten. (…) Das Personal einer optischen Telegrafenstation bestand aus mindestens zwei, häufiger drei Personen: einem Beobachter, der mit einem Fernglas die eine oder andere der nächstgelegenen Stationen ablas, und ein oder zwei Telegrafisten, die die Winkelelemente bedienten. Die Richtung der Nachricht war wichtig, Kollisionen mussten vermieden werden. Und manchen Nachrichten musste Priorität eingeräumt werden. Es ist kaum möglich, sich ein öffentlicheres System der Informationsweiterleitung zwischen zwei Orten vorzustellen. Deshalb wurde Verschlüsselung bald ein wichtiges Verfahren, besonders natürlich im militärischen Kontext.“

Abbildungen: Unterweser bei Brake mit Optischem Telegraphen (1; anonymer Kupferstich, Mitte 19. Jahrhundert); Braker Telegraf (2; 2018) – Zitate: Lars Gustafsson, „Der Optische Telegraf“, aus dem Schwedischen von Barbara M. Karlson, Secession Verlag, Zürich 2018