Der erschossene Schmetterling

Nur die Güte lässt dich schlafen – oder ist es das Ignorieren deiner üblen Gedanken? Was du anderen vorwirfst, du wirfst es eh nur dir selber vor. Der Groll, die Wut, der Zorn, deine Angst und dein Glaube an die Macht der Sorgen („Ich habe die ganze Nacht lang nicht schlafen können!“ – Mantra deiner Kindheit und Jugend) treiben dich in den halb wachen, halb durchdösten Furor. Und du weißt, du wirst die ganze Nacht lang nicht schlafen können.

Wie gesund der Krebsarzt sich in deiner Gegenwart gibt. Wie schwach, wie matt und moribund du dich fühlst in seiner Anwesenheit. „Mori…was?“ Er weiß alles, er weiß nichts. Beschwichtigt, immerhin. Tut sich groß, bah. Bläst sich auf, pffff. Winkt ab. Versager. Mickriger Medizinmann. Man möchte ihn zum Fenster rauswerfen.

Luis Buñuels Mirabeau-Verfilmung „Tagebuch einer Kammerzofe“ hat mich enttäuscht, aber ich muss gestehen, dass ich seit Wochen immer wieder an den Film zurückdenke. Die zurückgehaltene Lust, die herausplatzende Gewalt, der groteske Ekel des Spießertums vor sich selbst. Fetischistische Senioren. Gewürgte, begrapschte Kinder. Wenn Michel Piccoli mit seiner Schrotflinte einen Schmetterling erschießt, denke ich erst: Bah, wie geschmacklos. Dann: echt rebellisch. Dann: die erruptive Poesie. Dann: eigentlich bloß blöd anti-bürgerlich. Shock-maker. Aber ich selber bin mir seither ja der Beweis, dass diese Aufrauung Buñuels Ziel gewesen sein muss. Traum eines böse gemachten Kindes. Und das Kind hat die so schönen wie starren Augen Jeanne Moreaus.