Die Schuhe in Genf

Eine brennende Lampe im Fenster heißt immer, immer: „Rette mich!“

Sie brach die Brücken ab, die noch Bestand hatten, nur um dadurch behaupten zu können, am anderen Ufer zurückgelassen, verlassen worden zu sein.

Erinnere dich an die Schuhe in Genf: Zwischen zwei Frauen entbrennt vor einem Stundenhotel im Bahnhofsviertel ein lautstarker Streit. Die eine bewirft die andere mit ihren Schuhen, und die Beworfene wirft die Schuhe nicht zurück, sondern auf die Straße, dorthin, wo sie plattgefahren werden sollen. Der Mann, ein Brustkorb mit Beinen, der Anlass für die Querele, tritt mit großer Geste auf die Fahrbahn und sammelt die Schuhe der Liebsten (welcher?) vom warmen Asphalt.

Das Kind schreibt eine Klassenarbeit über Platon, Aristoteles, Sokrates und die vier kantischen Fragen. Die drei ersten, sagt das Kind, seien berechtigt; die vierte allerdings redundant. (21.9.)

Ein Leben lang hast du sie am Leib und warten sie darauf, dich zu zerreißen – deine Furien.

Schütte den Rotwein in die Sträucher.

„Gestorben am Tod“, sagt das Kind.

nussbaum-gru%cc%88ner-hut Das „Selbstbildnis (mit grünem Hut)“ von Felix Nussbaum – du siehst das Gesicht und du siehst den Hut über die Jahre, in denen seine Gemälde entstehen, wie sich beide zugleich verändern und doch dieselben bleiben; bis zum Schluss. Noch im Angesicht der Verfolger und Deportierer malt er sein Gesicht, den Blick, sich selber zugewandt, malt die grüne Kopfbedeckung fahler, immer fahler. Malt Bäume, einzeln, immer kahler. Nie schwindet die Hoffnung – der Glaube – ganz aus seinen Bildern. Noch „Sieg des Todes“ von 1943 wird konterkariert durch die Leben und seiner vergangenen Freuden zugewandte Weise von Nussbaums Malen. Er verschwand nicht einfach in Auschwitz. Die bis zum Ende aufrecht erhaltene Schönheit seiner Gemälde zeigt die Vernichtung und ihre gewaltige Absurdität. (Osnabrück, 24.9.)

Sehr sonderbar, die Vertrautheit von Felix Nussbaums Gemälde „Selbstbildnis mit Judenpass“ – das mich seit Jahrzehnten begleitet, wie ein wiederkehrender Traum. Da spricht die Sprache meiner Vorstellung: Mauer, Gesicht, Pass, Identität, zerstörte Natur, doch ebenso: Trost des Blicks, Suche nach Trost – Flug der Vögel.