Licht ist eine Stille

Durch die Baumkronen tauchen hunderte Krähen, die Meute geflügelter Wipfelhunde. Licht ist eine Stille. Im Schatten krächzendes Gebell. Unterm Parkgewölbe hängen lauthals grüne Hütten.

Lärmend schreitet der alte Nachbar mit seinem neuen Rasenkantenmäher ums Haus. Alles kappen.

Wenn Storm durch den Schlosspark gegangen kam, sangen die Pferde der Husumer Ringreitergilde ihr altes Lied. Und Storm summte es nach, schrieb es aber nicht auf.

Schattenbanken und Luftreich

„Die Rückkehr der Schattenbanken“, hieß es im Radio, und ich fühlte mich bemüßigt – hatte die Muße –, anzuhalten, innezuhalten, auszusteigen und zurückzugehen zum Park. Ein Schattenbankangestellter wollte ich sein.

Wie das Gras, auf das die Mai-Juni-Vormittagssonne fällt, so grüne Augen hat das Tier und blickt unverwandt aus dem Fenster wie hinein in ein unsichtbar bevölkertes Luftreich.

Jetzt, nicht mehr, bald wieder

Anrauschen, Rauschen, Verrauschen. Hör hin, wie Böen in die Bäume fahren, rasseln in den Sträuchern, pfeifen im kniehohen Gras, um die Firste, die Autostoßstangen: Der Wind singt seine Geschichte. Jetzt, nicht mehr, bald wieder. Der Ort, wo er war, klingt in ihm fort, der Wind hat ihn mitgenommen und trägt ihn dorthin, wo er gleich sein wird.

Gestern starb Sarah Kirsch. Heute starb Georges Moustaki. Morgen ist der 24. Mai 2013.

Die schöne Wehmut, zu warten auf den, der den ganzen Tag lang unterwegs war und gearbeitet hat, auch für dich.

Die schnellen Fische

Im Juni grüne Wogen im Holunder, die im Park zusammenschlugen, die Tropfen eine Regenflut im Funkeln neuerlicher Sonne, und die Vogelmusik so nah wie fern. Das Spechtgetrommel. Dass ich stehenblieb und rot wurde, so sehr schämte ich mich für mein Besserwissen.

Die Pfingsttrompeten!

Und abends die schnellen Fische: Fledermäuse, gaukelnd durch die Brandung der mit Wasser vollgesogenen Luft.

„Wir können nicht mit Gewissheit sprechen, weder über Eisvögel noch über Nachtigallen.“ (Lukian)

Der Sommerwind

„… musst du ins Licht investieren …“, sagt ein Vorübergehender in sein Telefon.

Der Sommerwind blättert mir die Seiten um, und das Buch antwortet, es raschelt. „Lies!“, sagen die beiden.

Der im Wind rauschende, hin und her gepeitschte, über dem Windmeer wogende Rote Flieder.

Ein Muster

Wie das Licht durch die Blätter fällt. Wie die Schatten ins Licht ragen. Wie Licht und Schatten zusammenspielen. Schattenlicht, Lichtschatten. Die Zweige. Die Blätter. Der leichte, der lichte Wind. Woran bin ich, bei diesem Anblick, woran erinnert? Gibt es etwas, außer mir, das meinen Blick erinnert? Ein Muster. Welches? Bin ich ein Teil von einem Muster, ein Musterteil? Ein Musterschatten, Musterlicht, Musterwind, Musterblatt.

Möglichkeiten

Der Park, ein freundlicher Ort.

Die Möglichkeit, das Grün von den Bäumen zu kratzen – nicht gegeben. Es geht ein leises Gefühl durch alle Anwesenheit: meine Liebe zu den Farben. Zu dir in diesem Licht. Zum Ausdruck in deinen Augen: Seele ist Park.

Der Park, ein freundschaftlicher Ort.

Versuch’s

Versuch’s: Geh mit dem Licht die Böschung hinauf. Was du da oben findest, und wärst es du selbst, für den Augenblick gehört es dir. Eigentümlich sein – das ist ja das Herrlichste! Hier zu den Bäumen gehen, irgendwie selber, gehender, Baum. Unter einer grünen Krone steht immer mindestens einer. Vielleicht wenn du regnen könntest, würde die Rotbuche auf dich warten. Doch wenn du achtgibst, dann staunt sie. Und gibt dir das Gefühl, unerwartet zu sein.

Wie das Wildentenpaar durch die Straßenschlucht fliegt, hinein in den Park: wild. Als wären wir nur da, um Angst zu machen vor uns. Als gäb es uns gar nicht (29.4.).

Alles herausposaunend

Die Ulme weiß alles und erzählt nichts. Und ebenso weiß sie nichts und erzählt alles. Während ich hier vor der Ulme stehe und alles weiß und alles herausposaune, nichts erzählend, wissend nichts. Die Ulme. Der Baum. Das Grün.

Tier aus Schatten

Zwischen den Büschen und Sträuchern saß oft am späten Nachmittag das Tier aus Schatten: schwarze Katze mit schwarzen Augen. Verscheuchen ließ es sich nur vom lautlosen Licht. Das schlich sich an im Hellen. Das verbarg sich hinter sich selbst.

Der Park – aus Licht und Schatten, aus Bäumen und Gras, ein Gemälde, in das ich hineingehen und das ich wieder verlassen kann. Um es zu betrachten von jenseits des Zauns.

Die Gedächtnisküste

Je weiter du unter die Bäume hineingehst, umso näher kommst du dem Meer. Dort warten die Vögel, die weite Schattensee, das Wogen der Wipfel. Komm, übers Gras! Fahr hinaus, in dein Gedächtnis.
Jochen Hein. Nordsee
Ich ging unter den Bäumen hindurch und fühlte an den Knöcheln und Schienbeinen bis zu den Knien das Gras. Ich dachte an das Mädchen und glaubte, ja, dass es Miriam gewesen war, an den Augenblick dachte ich wieder, als sie hinter mir herging, ich mich umdrehte und sie im selben Moment sagte: „Geh. Warum bin ich eigentlich mit dir hier?“ Wie wir später in der Sonne lagen. Ihre Haut. Wie die Wärme dieselbe war auf ihren Armen und auf den Halmen, wo mit den Schatten  kleine schwarz und grün schillernde Fliegen wanderten.

© Bild: Jochen Hein, „Nordsee“, Acryl auf Jute, 2003

Ineinsgewoben

Die Sonne
an dem Sommertag
die Schatten
eines Schattentags
Tag und Nacht in einem
übereinandergelegt
ineinsgewoben
und so auch mein Blick
auf mich, auf dich
schattiger
lichtdurchschossener
Erinnerungspark.

„Ich will mir das Ohr durchstechen“, sagt das Kind. – „Und wieso?“ – „Weil es schön ist.“ – „Und wo?“ – „Im Diamantenladen!“

Beschatten. Belichten

Und die großen alten Bäume, die hier standen, als die großen alten Bäume, die jetzt hier stehen, winzig waren, fingerhoch, noch Setzlinge, Tännlinge, Lindlinge, nur der Duft, war der Duft nicht schon immer nicht der gleiche, sondern derselbe? Du, der Duft!

Die Schattenmorellen. Die Lichtmorellen.
Schattierung. Lichtung.
Das Schattenkabinett. Das Lichtkabinett.
Erblickte den Schatten der Welt.
Lichtdasein.
Beschatten. Belichten.

Was dich berührt

Hier stand ich als Kind. Da ist noch der alte Brunnen. Meine Augen ruhten darauf, und ich blickte hinunter mit dem Licht, bis es sich zerstreute im Übergangsschatten und im Schwarzen verlor. Dann ging ich, und ich nahm den Brunnen mit, das zerfasernde Licht, das Einschwärzen, die glucksende Nacht. Und blicke an meinem Rand stehend hinunter.

Tagelang kannst du mit bestimmten Sätzen leben. Sie stehen dir vor Augen, wie Bäume. Sie klingen in den Ohren, wie Melodien, Stücke von Melodien. Du scheinst sie anfassen zu können – während nur sie es sind, die dich berühren (25.4.).

Das Parkschloss

Wo die Felder ausfransen und das Getreide vergisst, Früchte zu tragen. Wo der Roggen sich zu erinnern beginnt, dass er Gras ist, im Dunkel unter den alten Bäumen, in den schwarzen Räumen. Wo mein Schatten an einem überwachsenen Zaun lehnt.

Der Schlosspark – der Park des Schlosses, das Schloss des Parks. Der Park ein Schloss, das Schloss ein Park. Das Schloss. Der Park. Das Parkschloss.

Gute Neuigkeit

Immer wollte ich mit den Schatten reden
aber sie, die schwarzen Spiegel, sagten nichts
raunten bloß. Und waren wild und grün

Unter den Bäumen, die Schatten
und über den Schatten, die Zweige
dazwischen vielleicht
im Licht
ich

„Gute Neuigkeit“, sagt das Mädchen. „Alle Bäume sind aufgeplatzt.“