Dahinschlüpfender

Gestern, im strömenden Regen, der Fährmann auf seinem Boot über die Schlei. Zum morgigen Wetter befragt, blickt er in den grauen Himmel, der Regen prasselt ihm ins Gesicht, und er sagt fragend: „Wie soll es sein?“ (3. August, Missunde)

Im Schleswiger Ortsteil Holm die runde Siedlung, die aber keinen Marktplatz umschließt, sondern den Friedhof. Die Holmer Toten werden nicht vergessen. Fenster blicken auf Gräber, das Gras der Vorgärten ist das Gras der Grabumfriedungen. Nachbarn rufen von Tür zu Tür über den Friedhof, und manchmal antwortet ein Toter.

Ein wundersamer Fleck am silbernen, unwirklich glattgestrichenen Fjord: Haithabu im Dauerregen. Hugin und Munin, die beiden Raben auf Odins Schultern: Gedanke und Erinnerung, die dem Gott jeden Morgen die Neuigkeiten über die Welt in die Ohren krächzen. Ein seltsamer Gott, dieser tierverständige, so menschlich anmutende Odin mit seinen ihm um die Beine schnürenden zwei Wölfen Geri und Freki, Gierig und Gefräßig. Märchenhaft, zum Weinen schön, sein achtbeiniges Ross Sleipner, der Dahinschlüpfende, auf dem Odin durch den Himmel, durchs Meer und zu den Toten reitet. Vier Beine scheinen zu galoppieren und vier zu bremsen. Oder zeigen Abbildungen Sleipners nur, was das ist: Galopp, schnelle Bewegung, Tempo?

Drei Totenreiche kennt Sleipner und malten die Wikinger sich aus: Hel für die von Krankheit Dahingerafften, Ran auf dem Grund des Meeres für die Ertrunkenen, Walhall für die Erschlagenen – keine dieser Unterwelten ist ein Inferno, eine Hölle oder ein Straflager. Welche Musik sie wohl hörten in Haithabu, in Heddeby? (4.8.12)

Foto: Bildstein von Lärbro, Tjängvide, Gotland (Ausschnitt) © Museum Haithabu