Das Unausbleibliche

„Mit Gemälden ist es oft so wie mit Frauen“, sagte Lu Xinghua während unserer gemeinsamen Lesung über Unterschiede von Bildbeschreibungen und -deutungen, „man kann stundenlang vor ihnen stehen, und nicht das Geringste passiert. Nein. Man muss ihre Gunst erlangen.“ Lu Xinghua deutet eines der derzeit meistdiskutierten Bilder Chinas, Liu Xiadongs „Out of Beichuan“, in seinem Essay „Was soll die zeitgenössische Kunst machen?“ so: „Das Gemälde Out of Beichuan stellt die gebrochene Erde, das Überleben der Menschen und die Ungewissheit der Zukunft dar. Der zerstörte Boden bildet den Hintergrund. Zwar ist die Natur zerbrochen, doch sie ist mit ganzem Herzen gemalt. Die tote Natur ist der eigentliche Hintergrund. In Beichuan sehen wir am Kampf von Mensch und Natur, dass die Menschen und die von ihnen errichtete Welt besiegt wurden. Was macht die Darstellung einer solchen Niederlage sinnvoll? Wenn man den Boden betrachtet, gibt es dort noch Wege. Aber da ist kein Weg in die Berge mehr, nur noch ein Weg nach außen. Die Menschen sind Dämonen in einer Ecke des Bildes, eine Gruppe kranker Zombies. Der Künstler quetscht uns aus: Wo ist der Ausweg? Bereits vor dem Nahen des Lebensendes sollte man nachdenken, dazu gibt ein Erdbeben die Gelegenheit. Was die Künstler heute machen sollen, ist nicht, wie Hexen, religiöse Rituale für uns durchführen oder Feng-Shui betreiben, um uns zu helfen, der großen Katastrophe zu entgehen. Sondern sie sollen das unausbleibliche Endergebnis solcher Katastrophen in die Länge ziehen, glattbügeln und lebensecht vor die Zuschauer stellen, vielleicht sogar noch heftiger machen, sodass wir gezwungen werden, es deutlich zu sehen, damit uns die Hilflosigkeit irgendwann tapferer macht.“

Foto: Liu Xiaodong, „Out of Beichuan“, Öl auf Leinwand, 300 x 400 cm (2010) © Liu Xiaodong