Der arme Teufel auf der Anhöhe

Alle 53 Minuten tötet sich in meinem Land ein Mensch selbst. Ich weiß, warum ich den Begriff „Gesellschaft“ so lange schon für verlogen halte.

Zum Glück ist das Meiste nicht von Goethe.

Ein Rüsselkäfer auf deiner Hand. „Na, wohin des Wegs, du blaue Schönheit?“ (Duvenstedt, 1. Mai)

„Everybody wants a piece of you, a piece of you to burn.“ Gun Club

Ein Hemd aus dem Hause Dornenbusch.

Eine der abgründigsten und zugleich bewegendsten Romanpassagen las ich kürzlich in Elisabeth Edls Neuübersetzung der „Madame Bovary“. Flaubert beschreibt Emma Bovarys Kutschfahrten nach Rouen, wo sie ihren Liebhaber trifft, in Wirklichkeit aber aus der verhassten Enge ihres Lebens oder ihrer Existenz hinauszureisen versucht. Auf einer Anhöhe lässt man die Pferde rasten, und dort, zwischen den Postkutschen, drückt sich „ein armer Teufel“ herum, mit einem tellergroßen Biberfellhut, der notdürftig verbirgt, dass der Alte blind ist und „anstelle der Lider zwei klaffende blutige Höhlen“ hat. „Das Fleisch franste in roten Fetzen; und Flüssigkeiten sickerten heraus, die als geronnene grüne Krätze bis zur Nase reichten, und die schwarzen Löcher schnieften krampfhaft.“ Der Arme Teufel singt ein Liedchen, während er den Kutschen nachrennt: „Wenn erst die heißen Tage kommen, träumt manch Maid von Liebeswonnen.“ Alles gerät in Bewegung. Die berühmte Droschkenfahrt, auf der Emma und Léon hinter zugezogenen Vorhängen sich stundenlang durch Rouen fahren lassen und der Vorstellung des Lesers und der Leserin überlassen bleibt, was zum Teufel sie dort im Dunkeln so lange machen, wird gespiegelt und zersplittert, wenn Flaubert beschreibt, wie Emma in der über das platte Land jagenden Postkutsche sitzt und mit einem Mal der Arme Teufel auf das Trittbrett springt und sich heulend außen festklammert: „Seine Stimme, anfangs schwach und wimmernd, wurde schrill. Sie gellte durch die Nacht wie das unbestimmte Wehklagen einer dunklen Verzweiflung; und durch das Gebimmel der Schellen, das Gesäusel der Bäume und das Gedröhn des hohlen Kastens bekam sie etwas Fernes, das Emma verstörte. Es drang tief hinab in ihre Seele, wie ein Wirbelwind in einen Abgrund, und trug sie fort zu den Weiten grenzenloser Melancholie.“

Hinter dem Haus, am Bahndamm, steht in der Sonne der Imker und schreibt in sein Bienenheft.

Diese prächtigen Mai-Tage, die linde Wärme, das volle Licht – so ist das Wetter der Erinnerung.

Umarmen sollten wir einander, immer von neuem, bei jeder Gelegenheit, umarmen, umarmen, umarmen. „Sei umarmt!“ – „Ah, lass dich umarmen!“ – „In meine Arme!“ Jeden. Ohne Ausnahme. Würde nicht der Tod sterben?