Die Aufnahme zeigt ein Frachtschiff kurz vor dessen Verschrottung 1977 im Hafen der zweitgrößten taiwanesischen Stadt Kaohsiung, seinerzeit eines der weltweit wichtigsten Abwrackungszentren. Die dargestellte betagte Schönheit ist der beladen maximal 8179 Tonnen schwere Stückgutfrachter „Golden Crown“, vom Stapel gelaufen 1948 im schwedischen Göteborg, der fast dreißig Jahre lang unter panamesischer Flagge fuhr und drei Mal einen anderen Namen trug: Die „Golden Crown“ hieß zunächst „M/S Guayana“, dann „Stena“, gefolgt von „M/S Rhodos“, ehe sie ihren letztgültigen Namen erhielt. Sie stellte nichts Besonderes dar – nur ein Frachtschiff, das kreuz und quer über die Weltmeere fuhr, Ladungen nach, notwendigen Reparaturen Rechnung tragend, ein typischer Cargodampfer vor Einführung der Container, die für Frachter, Frachterreedereien und Frachterseeleute alles veränderten.
Und doch gibt es wie bei jedem Ding, jedem Geschöpf eine Besonderheit, die dieses Schiff einmalig macht, mag man es ihm auch nicht ansehen und hätte sich lächelnd oder gar angewidert abgewandt, wäre die „Golden Crown“ Mitte der 70er an einem wie mir auf der Elbe vorbeigefahren – wobei ich nicht weiß, ob sie je auch in Hamburg festgemacht hat und gelöscht wurde.
Als sie noch die junge, schnelle, effektive „M/S Guayana“ war, bestand ihre Besonderheit darin, auf direktem Weg zwischen Los Angeles und London zu verkehren und aufgrund ihrer seinerzeit großzügigen Ausstattung dabei bis zu 46 Passagieren an Bord Platz zu bieten.
Eine solche Frachtschiffatlantiküberquerung auf der „M/S Guayana“ buchte 1952 Raymond Chandler für seine Frau Cissy und sich, eine dreiwöchige Reise, die von Kalifornien durch den Panamakanal, vorbei an Kuba und über die See bis Schottland, bis England führte.
Chandler, der alles und jedem gegenüber kritisch war, fühlte sich wohl an Bord der „Guayana“, auch wenn das Schiff, wie er schrieb, fortwährend neu lackiert wurde. Er arbeitete auf hoher See an der Fertigstellung seines späten Meisterwerks „The Long Good-Bye“, um in London seinem britischen Verleger Hamish Hamilton von seinen Fortschritten berichten zu können.
Doch die Reise auf der „Guayana“ war mehr für ihn. Seit seinem Studium am Dulwich College im Herzen Brite, empfand Chandler sein Leben in La Jolla bei Los Angeles als Zwangsdasein im kalifornischen Exil. Die „Guyana“ entführte ihn für mehrere Monate in die Freiheit der Selbstbestimmung, bevor es zurückzukehren galt. „Auf ganz Kalifornien“, schrieb Raymond Chandler, „trifft zu, was jemand mal von der Schweiz gesagt hat: un beau pays mal habité.“