„Die Welt besteht aus Licht.“ Camille Corot
Unter meinen Papieren die erste Sterbeurkunde.
Die wichtigsten Entscheidungen stellen keine Probleme dar, weil sie sehr einfache Lösungen verlangen: atmen oder ersticken, springen oder verbrennen, lesen oder dumm sein. Schwierig wird es im Entscheidungsdickicht, und ebenso, wenn du mit Lösungswerkzeugen behängt bist und keinen Freiraum hast, um nur eines zu benutzen. Beinahe jede Lösung ist genau das: eine Lösung – ein Loslassen oder Sich-Lösen oder Etwas-Herauslösen. Und so auch die meisten Entscheidungen: Sie sind ein Trennen, Voneinanderscheiden, Heraussuchen, -sammeln und -nehmen. Das oft so grausame Aussortieren, die Selektion. (Kassel, 19.7.)
Der immer aufs Neue, von einem Satz zum nächsten verblüffende John Cheever: „Ich muss mich selber davon überzeugen, dass für mich, einen Mann mit meiner Veranlagung, das Schreiben keine selbstzerstörerische Berufung ist.“ Doch es geht Cheever nicht um das Breittreten des altbekannten Verhängnisses etwa Fitzgeralds, dass zu schreiben und dabei – oder deswegen – zu trinken nur kurz etwas von Güte zeitigt, dann aber rasch, tief, unaufhaltsam – und gähnend! – der Abgrund auf einen wartet. Cheever verfolgt in seinen Tagebüchern eine viel grundsätzlichere Analyse der eigenen Rauschhaftigkeit: „Ich hoffe und glaube, es ist nicht so, aber wirklich sicher bin ich mir nicht. Es (das Schreiben) hat mir Geld und Ansehen eingebracht, und doch habe ich den Verdacht, es hat etwas mit meinen Trinkgewohnheiten zu tun. Die Begeisterung für den Alkohol und die Begeisterung für die Phantasie sind sich sehr ähnlich.“
Fettmilch, Gernegroß und Schopp hießen die Räselsführer des sogenannten Fettmilchaufstands 1612 bis 1614 in Frankfurt am Main, in dem nackte Geldgier und unverhohlener Hass auf die Juden der Stadt sich miteinander paarten. Vinzenz Fettmilch wurde am 28. Februar 1616 in Aschaffenburg öffentlich hingerichtet, ihm wurden die beiden Schwurfinger der Rechten abgetrennt, der Kopf abgeschlagen und sein Körper gevierteilt, bevor man ihn an den Galgen hängte. Das Haus Fettmilchs in der Frankfurter Töngesgasse wurde geschleift und eine Schandsäule an seinem Platz errichtet. Fettmilchs Kopf pflanzte man auf eine Eisenstange am rechtsmainischen Brückenturm, dort steckte er 185 Jahre lang, von 1616 bis 1801, als man den Frankfurter Brückenturm abriss. Goethe erinnert sich an den Anblick in „Dichtung und Wahrheit“, und durch seine Zeilen zittert der Schauder: „Unter den altertümlichen Resten war mir, von Kindheit an, der auf dem Brückenturm aufgesteckte Schädel eines Staatsverbrechers merkwürdig gewesen, der von dreien oder vieren, wie die leeren eisernen Spitzen auswiesen, seit 1616 sich durch alle Unbilden der Zeit und Witterung erhalten hatte. So oft man von Sachsenhausen nach Frankfurt zurückkehrte, hatte man den Turm vor sich, und der Schädel fiel ins Auge.“
„Niemand kann sich verstecken, wenn er kein Kind ist.“ Alissa Walser