Der Zweifel ist nicht mehr erlaubt

So erschütternd wie verwunderlich ist, was Christian Bobin über Jesus von Nazareth schreibt: „Il ne dit pas: aimez-moi. Il dit: aimez-vous. Il y a un abîme entre ces deux paroles. Il est d’un côté de l’abîme et nous restons de l’autre. C’est peut-être le seul homme qui ait jamais vraiment parlé, brisé les liens de la parole et de la séduction, de l’amour et de la plainte.“ Er ist vielleicht der einzige Mensch, der, gekappt die Verbindungen des Worts und der Verführung, der Liebe und der Klage, je wahrhaft gesprochen hat. (Volx, 1.8.)

„Le doute n’est plus permis“, singt Jane Birkin, mit deren Tod mitten in diesem Mistralsommer ein weiterer großer und schöner Teil meiner Welt gestorben ist. Der Zweifel ist nicht mehr erlaubt.

Und Du, Sinéad? Ich wusste gar nicht, dass ich älter war als Du. Jetzt bist Du gestorben, mit 56 Jahren. Gott, was habe ich Dich angehimmelt, Deinen geschorenen Kopf, Deinen existenzialistischen Rollkragenpulli mit dem Badge STOP STARING AT MY TITS – was ich verstand und richtig fand, aber genauso von mir wies, um Dich weiter ansehen zu können. O I’m so sorry for my rapture. Du warst mehr als sexy. Du warst der Inbegriff der Sexyness im Fürstentum meiner Bewunderung. Die Stimme und ihre Verkörperung. Es war schwer, Dich unpolitisch, nicht gesellschaftskritisch zu sehen. O yes, but I did. Poetisch gesehen warst Du und bleibst ein selbsterschaffenes Wesen, wie Prince durch Unbilden dem Business entwachsen. Die Tragik Deines Lebens und Endes ist Deiner Musik eingeschrieben. Du hast mich oft begleitet, oft getröstet, oft erschüttert. Viele Landschaften, durch die ich fahre, verbinde ich, Sinéad, mit Dir. (4.8.23)

Im Gartenpark des Konvents Les Cordeliers breitet ein junger Hippie seine im Brunnen ausgewaschenen Klamotten auf den Heckensträuchern aus. Die Mittagshitze brennt herab auf Forcalquier. Die Birnen und Äpfel reifen in Stunden. Die Ameisen wandern durch die Zeit, und wir, der Hippie und ich, müssen bald sterben, aber noch nicht heute, noch nicht gleich. Er da drüben im Schatten der Hecke mit seinen Anziehsachen darauf und ich hier auf meiner Familiensteinbank im Schatten unter der Platane, wo ich frühstücke, wissen es: So wie alles vergebens ist, so ist nichts verloren.

Das Weiterschreiben, das Weiter-und, weiter-und weitere Schreiben als Trost, für dich und für die, die es angeht und kümmert.

In das am Nachmittag abgedunkelte Straßenzimmer fällt durch die Fensterläden ein Lichtstreif, und darin tanzt ein Firmament aus Staubflocken, nur in diesem schmalen, sich verbreiternden Dreieck – das aber ersichtlich macht: Im ganzen Zimmer tanzen die Sterne aus Staub. (Volx, 8.8.)

Die Kebap-Imbisswirtin ist Türkin oder Kurdin, und sie ist müde wie ihr Mann, der hinten im Lokal auf dem Fußboden schläft. Sie bereitet die Fritten und Falafel zügig zu, sie lächelt und gähnt und trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Paillettenaufdruck QUEEN OF DISCO. (Manosque, Anfang August.)