Die Bäume sind schuld

Jahrelang dachte ich, es müsse doch eine Verbindung, und noch so winzige, zwischen Muhammad Ali und Ali MacGraw geben – und ich denke das noch immer, und schlage hier deshalb jetzt die unsichtbare Brücke.

Das Kind mit dem Gesicht eines Erwachsenen fragt dich nach dem Weg. Es hat eine tiefe Stimme. Es ist ausgesucht höflich. Aber es hat den Körper und die Gestalt eines Kindes. Es fragt für die ganze Familie. Vater, Mutter, die Großeltern und Geschwister, alle sprechen nicht deine Sprache, aber das erwachsene Kind tut es. Ist es ein Kind? (Frankfurt-Süd, 21. Juli)

„Die Bäume sind schuld“, sagt der zahnlose Alte auf dem Bürgersteig, nachdem die Nachmittagsgewitter durchgezogen sind. „Sie speichern den Regen. Es ist schon wieder sonnig, aber unter den Bäumen regnet es weiter! Sie sind hinterlistig und erfinderisch.“ (Alsterdorf, 22.7.)

Der Amoklauf von München. Der neunfache Todesschütze war 18, zwei Jahre jünger als mein Sohn, erschoss sich vor den Augen der Polizisten, nachdem er seine Opfer via Facebook in eine McDonald’s-Filiale gelockt hatte. Er beschaffte sich die Tatwaffe im Darknet, den Substrukturen des Internet, eine aufgesägte Theaterpistole. Wenn dem allen so ist – was hat es zu tun mit dem, was wir Wirklichkeit nennen? Es ist – in aller Deutlichkeit – die todbringende Unwirklichkeit.

Mit deinem kleinen Neffen allein nach draußen in den Garten geflohen vor der Enge der Familienzerrüttung. A figure in the sky, a figure in the sky! Die Kastanie zeigen bereits die Verwundung durch die Minierraupe – halb vergibtes Laub im Juli. „Schau die Flecken auf den Blättern!“, sagst du zu dem kleinen Mann, der dich anstaunt mit seinen fünf Jahren, seinem eigenen Blick, seinem Glück von Downsyndrom. Er zeigt auf seine Wunden am Unterarm – Flecken, kleine Kratzer. Das Kind und die Bäume, seine Freunde in diesem einen Augenblick.

the-chameleons

Wer ihre Musik nie hörte, der wird kaum verstehen, wie es zum zersplitterten Gemüt der nachmodernen Jahre kam: The Chameleons aus Middleton bei Manchester, die es von 1981 bis 1987 und 2000 bis 2002 gab. Das Akustikalbum „Strip“ von 2000 zählt zu den eindringlichsten musikalischen Darstellungen der um sich greifenden Verunsicherung und Zerrüttung, die ich kenne – wobei Sänger Mark Burgess und Gitarrist Dave Fielding immer wieder Klangräume schaffen, die von ganz anderen Möglichkeiten erzählen, von kristallener Wehmut, nächtlicher Klarheit. Das Aufbegehren der Chamäleons ist ein unbedingtes. „Oh, when you think of it, when you think of it / Try here / A word in your ear / You can’t go back to the trees“, heißt es in „Soul in Isolation“ von 1986.

Die alten Gesichter – von früher – die Visagen – Antlitze dennoch, fürwahr. Ist hier die Grenze der Poesie? Nein.

Woher der Glaube an die Macht der Vorbeugung?