Die Jahreszeit des Kummers

Ich überhole eine junge Frau, die in diesem Moment in ihr Telefon sagt: „Mittwochabend gehört uns die Welt!“

„Der dritte Tag am Meer! Der dritte Tag am Meer!“, ruft das Kind, als es am frühen Morgen, mitten in der Stadt, aus dem Haus kommt, gefolgt von seiner Mutter, die es anherrscht: „Hör auf! Hör auf! Das ist unsinnig!“

The Walkmen – You & me

Bevor es anfängt zu regnen, das leise Gerassel der letzten, schon angegilbten Herbstblätter in den Platanenkronen. Sie imitieren den Regen, der folgt.

Barclay James Harvest – Everyone ist everybody else
Everything but the girl – Eden

In der abendlichen S-Bahn hinaus an den Stadtrand zu einem fernen Freund schläft ein Mann und kann von drei Bahnangestellten (SECURITY) nicht geweckt werden – weswegen der Zug nicht geleert und nicht ausgesetzt und weswegen der Nachfolgezug in den Bahnhof nicht einfahren und daher nicht bestiegen werden kann. Der Mann ist der einzige Mensch, der noch in dem Zug sitzt. Es ist jetzt sein Zug. Es ist sein Schlafzug. Der schlafende Mann weiß nicht und ahnt nicht mal, dass der Zug verlassen werden soll, damit er ausgesetzt werden kann, er weiß nicht und ahnt oder befürchtet nicht, dreißig oder fünfzig oder hundert Menschen könnten dadurch, dass er schläft, in der Schneekälte auf dem Bahnsteig zu warten gezwungen sein. Er schläft, er träumt, er fährt. In jedem Augenblick des Lebens besteht die Möglichkeit zur Poesie und somit zum Wunder. Eine Lautsprecherstimme aus der Dunkelheit gibt bekannt, dass der Zug mit dem Schlafenden, der nicht geweckt werden kann, erneut bestiegen werden und außerfahrplanmäßig seine Fahrt fortsetzen soll. Ich steige wieder in den Zug des Träumers. (Ohlsdorf, 15.12.)

Grizzly Bear – Shields
Spoon – They want my soul
Grizzly Bear – Veckatimest

Raoul Dufy muss sein Bild von der Promenade des Anglais in Nizza an einem Fenster im Hotel Suisse gemalt haben – nur von dort geht der Blick so über Strand und Bucht. 1922 begann James Joyce in dem Hotel „Finnegans Wake“ zu schreiben und dürfte gleichfalls ein Zimmer mit Meerblick gehabt haben – dasselbe. (Nizza, 7.2.23)

Taylor Swift – Midnights

480 Finger flehend zum Himmel gereckt – der winterkahle Feigenbaum. (Volx, 9.2.)

Der Sommer ein Jahr.

Die Jahreszeit des Kummers.

Jeder Träumende wird immerzu aufgefordert zu handeln.

Keith Jarrett – Bordeaux Concert

Blumendüfte, Worte einer anderen Welt.

Gib es zu: Du bist an dein Ende gekommen. Aber das Ende, wie wunderbar: Am Ende des Schreibens steht immer der Anfang von Nachdenken über dich und die Zusammenhänge. Es gibt nichts, was unerwähnt bleiben sollte, hörst du? Nichts. Erschreckend ist an dieser Zeit nichts, nur dein Zögern.

David Crosby – If I could only remember my name