Drei Flüsse an einem winterlichen Tag

Als Heinrich Voß Hölderlins „Antigone“-Nachdichtung gelesen hatte, trompetete er los – wahrscheinlich stand Goethe aufgeblasen irgendwo im Mittelpunkt eines Saals: „Ja, ist der rasend? Oder tut er bloß so?“ Und alle lachten, weil sie Vossens Tröten in ihrer Dumpfheit für einen Witz hielten. Goethe nickte dem Paladin zu. Nur Voß selber wusste – oder ahnte, er wusste nicht so recht, wo der Unterschied war –, dass seine Frage bitterem Ernst entsprang. Er selbst musste tot sein, ohne es gemerkt zu haben. Dieser Verdacht erhärtete sich ihm, als er den feisten Gecken von Goethe da mitten im Raum stehen sah, wie er den jungen Dingern in den Ausschnitt stierte. Ja, tot, alle waren sie längst tot.

Bei starkem Frost kracht das Haus in der Nacht – so laut, als krachte die Nacht.

Es gibt auch leuchtende Beleidigungen und Verunglimpfungen. „Was sind denn Sie für einer?“, sagt eine Frau im Supermarkt zu einem fremden Herrn. „Sie Notizblock. Sie karierter. Gehen Sie mir aus dem Weg, oder ich schreibe Sie voll.“

„Die üble Nachrede erleichtert die Boshaftigkeit.“ Joseph Joubert

Drei Flüsse an einem winterlichen Tag, der kein Ende nehmen wollte: die Eisenbahnhochbrücke bei Eglisau über den schweizerischen Rhein – dunkelgrün in der Sonne der Fluss dort unten. Der Neckar dort, wo er noch schmal ist, wo Hölderlin wanderte. Brauner, durchsichtiger Neckar, die Ufer schneebeladen. In der späten Nacht höre ich das Rauschen der Regnitz, im Winter klingt es anders, aber es ist derselbe Ort, an dem ich im Sommer mit meinem Herzen im Fluss schwamm. (Bamberg, 28.2.)