Ein Schein, ein Scheinen, ein Schreien

„Ich hasse Tabletten!“, ruft das Kind. „Sie machen es nur schlimmer! Sie schmecken nicht! Sie sind nicht mal bunt!“

Das Licht, wie es durch das vielfältige Grün fällt – und die Vielfalt erst erzeugt? Das Licht ist der Sommer, nur ein Schein, ein Scheinen.

Seit drei Wochen brütet eine Ringeltaube in dem Jelängerjelieber-Busch, der bis zum Balkon emporgewuchert ist – und allmählich, fast, fasst sie Zutrauen. Es steht in ihren Augen, und sie zeigt sie dir, beide.

Schlagzeile am Morgen des britischen Referendums für den Austritt aus der EU: „Auf und davon in die Drachensaison!“

„Thank you for entertaining us“, sagt die Amerikanerin zu dem jungen Mann, der ihrem Gatten und ihr zwei Stunden lang im Zug Fragen stellte und aus seinem Leben erzählte, dann steigt sie aus. (Zürich, 24.6.)

Grillfest unter Kirschbäumen im Garten des Bürgermeisters. Über die Berge kommt mit Blitzen und Donnern ein Sommerunwetter, und einer am Tisch sagt: „Die Schwalben fliegen tief und wollen uns das wissen lassen.“ Du hörst das Hochwasser der Etsch vorüberbrausen. Die Kinder des Bürgermeisters räumen die Tische ab. Wir trinken Lagrein. Die Frauen sind alle schön in dem späten Sommerabendlicht, erst recht die über siebzigjährigen Damen mit dem Schmuck der ganzen bereisten Welt. (Glurns, 24.6.)

„Pündericher Bahndammschatten“, sagt der alte Dichter bei Tisch, „Fusel.“ Später, inzwischen gibt es guten Wein, erzählt er: „Als Österreich merkte, die Lombardei geht verloren …“ In seinen weißen Augenbrauen könnten Vögel nisten.

Der Rhein führt schmutziges Hochwasser. Gestern der Platzregen am Bahnhof, vor dem du in einen Imbiss voller Bauern und Busfahrer geflohen bist. Immer wieder die großen Blitze überm Vinschgau. Und am Abend, in der linden Sonne, kamen in zerfetzten Scharen Dohlen aus den Bergen herabgesegelt nach Glurns. (Basel, 26.6.)

Die alte Dame, ein greises Mädchen. Sie ist großzügig, warmherzig, neugierig. Sie erzählt, wie es war, Klaus Kinski zum Freund zu haben. „Ein schwieriger Mensch! Aber er war stets zur Stelle. Er war aufrichtig und zuverlässig.“ Kannst du das glauben? Tu’s.

Der Höhepunkt des deutschsprachigen Biografiegedichts, Günter Eichs „Dauthendey in Java“:

Die kahlen Rebhänge: Randersacker!
Oder der tropische Wald im Regengetropf?
Das Heimweh verwirrte sein kindliches Herz,
der Whisky den Kopf.

Ein williger Leib, javanisch braun.
Und er sann über Muschel und Stein.
Tagelang mochte er nichts essen
und wachte nachts auf und begann zu schrein.