Elsternfüttern

In dem alten, halb verwilderten Wäschegarten im Innenhof des Nachbarblocks haben sie sämtliche Bäume gefällt. Zersägt in von halbwegs kräftigen Kerlen zu verladende Holzscheiben – sterbende Uhren –, liegen die Stücke im novembernassen Gras und verströmen abends und morgens einen betörenden Geruch in der Straße – nicht den der Trauer, den des Lebens. (17.11.)

Dieses Foto fand ich auf dem Bürgersteig vor den Mülltonnen, es zeigt Spuren des Regens, der Schuhe, die darauftraten, der Räder, die darüberfuhren. Ein Zufall, ein Windstoß hat es bewahrt vor dem Schredder, dem Feuer. Eine seltsame Szene hält das Bild fest, so banal wie archaisch, eine stille Poesie, die mich sogleich ergriff, als ich das Foto im aufgeweichten Laub liegen sah. Ein Feld. Sechs darin beschäftigte, zumeist junge Leute. Ein mögliches Gemälde-Motiv, wäre eine andere Zeit. So aber bloß ein Foto, weggeworfen. Wonach wird dort gesucht? Nach dem Sinn.

In der Abenddämmerung durch den Stadtpark. Das blaue Licht. Das Wasser. Die Leere über dem weiten Gras, und das Schwarz, die Stille der Bäume. (Winterhude, 18.11.)

Der schöne Zufall, ein poetischer Bote, als beim Umzug in die neue Bude der Freund das einzige Buch aufschlägt, das in der Gegend herumliegt: KEATS. Und laut vorliest: „Once more been tortured with renewed life.“ Kurz vor Schluss des ersten Teils in Keats’ Epos lässt Endymion seine Begegnungen mit der ihm rätselhaften Mondin Revue passieren. Vor 24 Jahren übersetzte ich die Passage, die in die Werke-Ausgabe nicht aufgenommen wurde, so: „Und schwerer noch befiel mich jetzt der Gram, / Als da ich aus dem Mohn der Hügel kam: / Und ein jahrzehntelanges Zaudern kroch / Hier faul vorbei, eh größre Freude noch / Jäh auf die tödlich gelbe Schwermut fiel. / Ja, dreimal sah ich dieses Zauberspiel; / Ward noch einmal geplagt mit neuem Leben.“

Elsternfüttern im Innenhof.

Wenn die Männer mit den gelben Laubsaugern und den gelben Laubsaugeranzügen von ihren Transportern springen, um im Viertel die Vorgärten und Innenhöfe von Laub zu säubern, den Herbst zu eliminieren mit ihrem erbarmungslosen Lärmen, dann ruf zum Fenster hinaus: „He, Heiopeis! Haut ab! Verschwindet, ihr Pissnelken! Weg, weit weg! Los, verflüchtigt euch!“ Oder ich schicke euch (in) die große Stille.

Handkes seit über 20 Jahren geliebte Notiz – „Ich sah einen Bekannten wieder: er war gescheitert, er war Sportler geworden“ – hat der Suhrkamp Verlag für mein Fehmarnbuch nicht freigegeben, da ich das Notat „nicht sinngemäß“ verwenden würde. Nach Rückfrage, wer bitte entscheide, ob ein Handke-Zitat sinn- oder unsinngemäß verwendet werde – ich würde diesem Sinnstifter von Suhrkampangestellten gern den Speichel von der Hose lecken –, wurde das Zitat freigegeben.