Erlösung

Wenn Michail Eisenstein nachmittags in die Alberta iela ging, um in der Rigaer Neustadt den Bau eines neuen Jugendstilhauses zu beaufsichtigen, schickte er seinen Sohn währenddessen ins Kino Splendid Palace. Schnell ging Sergei davon und heftete die Augen auf die Erker, die Arkaden, die Gesichter, die Eulen, die Greife, die Sphinxe und die Frauen mit den großen Augen und nackten Brüsten, die sein Vater gezeichnet hatte und die in der Alberta iela zu Stein geworden waren.

„Remember: No one questions a snow-leopard.“ Paddy McAloon

Eine riesige hölzerne Lunge, die pumpt und saugt, klingt und singt – die große Orgel im Dom zu Riga. Lize Reine spielt die Toccata aus Charles-Marie Widors fünfter Sinfonie. Spielt unsichtbar. Hunderte Menschen sind aus dem Schneetreiben in die Kathedrale geströmt und sitzen, viele mit geschlossenen Augen, in den Bankreihen. Die Musik. Als äußerte sie Empfindung. Als spendete sie unmittelbar Trost. Mehr noch, als wäre sie selbst der Glaube, sichtbar auf den Gesichtern, die wieder Antlitze sind. Als nähme sie die Sorgen, schluckte sie, um sie Musik werden zu lassen, so spürbar erlöst bin auch ich. (7.12., Rigas Doms)