Heckenweg

Ein verregneter, kühler Mai, das Relikt eines endlos anmutenden Winters. In den Titisee und Schluchsee prasselt der Regen, und am Ufer stehen nur einige versprengte Wohnmobile, in denen du trübselig dreinblickende Seniorenpaare siehst, die nicht glauben können, dass dies die Welt ist, die im Alter auf sie gewartet hat. Aber so ist es. Der Ruin ist offenkundig.

Werner Heisenbergs erster Eindruck von seinem Mentor und Lehrer Niels Bohr: „Bohr sprach ziemlich leise, mit weichem dänischem Akzent, und wenn er die einzelnen Annahmen seiner Theorie erklärte, so setzte er die Worte behutsam, sehr viel vorsichtiger, als wir es sonst von Sommerfeld gewohnt waren, und fast hinter jedem der sorgfältig formulierten Sätze wurden lange Gedankenreihen sichtbar, von denen nur der Anfang ausgesprochen wurde und deren Ende sich im Halbdunkel einer für mich sehr erregenden, philosophischen Haltung verlor (…) Es war ganz unmittelbar zu spüren, daß Bohr seine Resultate nicht durch Berechnungen und Beweise, sondern durch Einfühlen und Erraten gewonnen hatte und daß es ihm jetzt schwerfiel, sie vor der hohen Schule der Mathematik in Göttingen zu verteidigen.“

Lesen, Übersetzen, Miteinandersprechen – andere Formen der Bildung fallen mir nicht ein. Da die meisten Leute nicht übersetzen und die meisten Leute auch nicht mehr lesen, zumindest kaum noch Bücher, wirkliche Bücher, sind sie aufs Sprechen angewiesen, um die Welt kennenzulernen und etwas zu erfahren von Weite und Tiefe der Zeit. Aber auch das Sprechen ist dabei, verloren zu gehen.

Talk Talk – It’s my life

Seine Zunge blutete mit einem Mal. „Heckenweg“, sagte er. Als er das Wort einmal in den Mund genommen habe, da habe seine Zunge angefangen zu bluten. „Und seither“, sagte er, „blutet sie immer, sobald ich es sage.“ – „Das Wort ,Heckenweg‘?“ – „Ja.“ Die Zunge hatte aufgehört zu bluten. „Sag es“, sagte ich. Und er sagte: „Heckenweg“ – und ich sah, seine Zunge blutete wieder.

Die Hotelinhaberin deckt den Frühstückstisch im Garten, wo du dich niederlässt und dir die erste Sommermorgensonne des Jahres auf die Haut scheinen lassen kannst. „Setzen Sie sich, setzen Sie sich“, sagt die ältere Berlinerin. „Bleiben Sie, solange Sie mögen. Einzige Bedingung: Bewundern Sie meine Rosen.“ (Berlin-Friedenau, 18.5.)