Herbst auf Rhodos (1)

Überall der übertünchte Verfall.

Der greise Grieche in seinem 40 Jahre alten weinroten Daimler, kriecht durch das Viertel, in dem er jedem Schlagloch einen Namen gegeben hat. Unter einem Riesenfikus parkt er seinen mühsam zusammengehaltenen Schrotthaufen und geht mit Tippelschritten eine Zeitung kaufen. In seiner seit vier Jahrzehnten stillstehenden Bürgermeisterwirklichkeit – wer bin ich da, ich Fremder am Straßenrand? (Rhodos-Stadt, 12.10.)

Schmuckläden mit Marmorfußboden. Zwischen den Geschäften, von genau derselben Größe, dachlose Ruinen, stinkend nach Pisse und Rattengift.

Über die blaue Ägäis kommt langsam eine blaue Autofähre und hält auf den Inselhafen zu – lebendiges Bild aus „Nie mehr Nacht“: Da fährt die „Kitty“!

Ein junger Mann mit langen, langen Gliedern, langem, langem Rumpf und sehr kleinem Kopf. Einer, der nicht lächelt. Ein junger Zentaur.

Im Dunst taucht am Nachmittag ein Gebirge aus dem Meer – die türkische Küste. Dort drüben fängt Asien an.

Drei Straßenhunde: ein großer, zotteliger Grauer, ein flacher, gedrungener Einäugiger und ein kleiner flinker Fleckiger – gemeinsam drehen sie im Park und auf den angrenzenden Plätzen ihre Runde. Reihenfolge immer dieselbe, Wege immer gleich, Trink-, Fress-, Schnüffelordnung die von gestern und allen Tagen. Sie tauschen Blicke. Sie warten aufeinander. Sie verstehen einander so wortlos wie blind. Jeder kennt sie. Sie kennen jeden. Es gab sie immer schon. Sie sind keine Hunde mehr. Sie sind der denkbar größten Freiheit sehr nah. Ihr wundervollen Geschöpfe.