Herbst auf Rhodos (4)

Auf der ganzen Insel nur ausgetrocknete Flussbetten – oder sind die Flüsse sogar vertrocknet und verlandet? Mitten in der Kieselmulde des Loutan sah ich ein halb zerfallenes rotes Ruderboot. (17.10.)

Kamiros Erinnerung an Ephesus, vor 19 Jahren: In den Ruinen von Kamiros stehst du auf der Jahrtausende alten Hauptstraße und siehst Agamen und Eidechsen über das in der Sonne blendende Mauerwerk huschen. Da ist ein Muschelrelief in eine nur noch hüfthohe Hauswand gehauen. Du hörst vielleicht ein unsichtbares Windrad. Das Lachen von toten Kindern und wie sie vorbei und um die Ecke toben in einen überdachten Garten. Stell dir in der sengenden Hitze das Weinlaub über den Schattengassen vor. Das Geplätscher des Wassers, das herabsprudelte aus der großen Zisterne oben am Stadtrand, unterhalb des Pallas Athene-Tempels. Und überall und nirgendwo Ziegen.

Die schönen Ziegen auf den wilden Müllkippen im karstigen Bergwald von Profitis Ilias – himmelblau die Fahrerkabine des dort seit Jahrzehnten verrottenden Ford Transit-Pickups.

An eine Hauswand in Rhodos-Stadt gesprüht: 100 years of freedom 1912 – 2012

„XAIRE“ – „Frohgemut!“ – steht als abschließendes Wort, als Gruß und zugleich Aufforderung, auf vielen antiken Grabstelen. Und noch immer sagen sie manchmal: „Chaire!“ Und wir verstehen einander, denn auch ich sage hier oft: „XAIRE!“ – und denke dabei an Cummings‘ 71 Gedichte mit diesem Titel, besonders an den Auftakt von Gedicht 65: „ich dank Dir Gott für meist den wundervollen / tag“.

Bei Schirokko verdunkelt sich das Meer. Das helle Türkis wird zu Aquamarinblau und das Dunkelblau zu Violett.

Bei Schirokko stürzen die weißschwarzen Tauben über den Strand hin, und Tag für Tag deutlicher steht im Meer Anatolien, dessen Binnenlandgebirge wir nun sogar schon sehen. (18.10.)