In Alis Schatten

In einem Gespräch, das Byron aufzeichnet und das sich um die Frage der Notwendigkeit von Liebesgedichten drehte, soll Shelley gesagt haben, er befürworte Hassgedichte, Hassgedichte müsse es ebenso geben, und gleich jetzt werde er beginnen, welche zu schreiben!

„Das Gras wächst, die Vögel singen, die Wellen spülen den Sand weg, ich verprügele Leute“ – Muhammad Ali ist gestern gestorben, 74 Jahre alt, wovon er sich 32 mit der Parkinson-Krankheit herumschlug. Ich erinnere mich an Nächte in meiner Kindheit und Jugend, in denen wir vorm Fernseher saßen, hundemüde, aber mit großen staunenden Augen, wenn im Ring Ali tanzte und das Aufbegehren sichtbar und fühlbar wurde.

Angesichts des Todes eines Despoten kannst du nur Traurigkeit empfinden – die der Erleichterung, dass schlussendlich jeder ein Mensch ist und jetzt ein Gespräch möglich sein wird: Tod meines Vaters. (4. Juni 2016)

„We have all of us one human heart“, schreibt William Wordsworth. Die Minzeblätter sind alle verrottet – braun, purpurn, schrumpelig, zerknittert, wie alte Haut, altes Leder, alte Taschen, in denen nichts mehr ist, wenn keiner sich erinnert an die Ausflüge, die Lokale, die Tische voller Gläser und Flaschen, das Gelächter, die Gärten. Die Minzeblätter sind auf den ersten Blick allesamt verdorben, erst gepflückt, gestorben, dann verdorben. Doch es ist anders – denn es gibt frischegrüne Triebe, fast Knospen, Minzeknospen, die mitten unter den Gammelblättern wachsen. Wie? Wozu? Da staunst du. Und sie staunen dir entgegen.

Denke: an das schöne flaschengrüne Fahrrad der Großmutter, mit weißen Reifen. Auf dem ich fliehen wollte aus der verhagelten Kindheit. Das dann jahrelang im Garten des Schulkameraden stand, zwischen zwei Häusern, immer sah man es, wenn der Bus an dem Häuserspalt vorbeifuhr, – bis der Freund, der keiner war, sagte, sie hätten es zum Sperrmüll gegeben. Denke: an die Großmutter, die einmal fragte: Mein Rad, wo ist das? In einem Spalt in meinem Gedächtnis.

Das sorglose Leben kehrt nicht zurück. Du musst lernen, musst lernen, mit den Sorgen zu leben, dein Auskommen haben mit den Sorgen, Keats würde vielleicht sagen: deine Sorgen willkommen zu heißen als eine Hälfte deines schönen Lebens. (7.6.)

Nie, sagt Joe Frazier, habe er sich größer gefühlt als in Muhammad Alis Schatten.