Durchs Huntetal fahrend fällt mir schon beim Klang des Namens das Baden in dem Fluss wieder ein. Oldenburg 1979. Mit dem Bruder schwimmen im Fluss, dem braunen Wasser, springen von dem Steg, der am Ende des zum Ufer hinablaufenden Gartens lag. Eine Erinnerung, die mir nahelegt, der Sommertag sei letzte Woche gewesen. Ich spüre noch deutlich die Ströumung des ganz und gar weichen Wassers – oder meine mich noch genau entsinnen zu können. Oder setzen mir Erfahrungen, ähnliche, aus vier Jahrzehnten seither diese Bilder zusammen? Hätte ich diese dann nicht im Sinn behalten, um mich an die Hunte bildhafter, lebendiger wiedererinnern zu können? Unwiederbringlich ist der Tag an der Hunte, als ich als Junge dort war und schwimmen ging, so oder so. Doch ebenso ist er unvergessen.
Die Organböen setzen ein wie auf ein Fingerschnippen hin. Und durch die Fenster, die auf Kipp stehen, wirbeln Blätter herein. Der Sommer ist vorüber. Er war eine endlos anmutende Pracht.
„Es kommt eine Zeit, und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Gottessohnes hören“ – wie in diesem verblüffenden Satz, der in der Krypta der Wallfahrtskirche von Bethen bei Cloppenburg zu lesen ist – ein zwischen Bundesstraße, Ausfallstraße und Autobahn eingeklemmtes Örtchen –, so scheinen sich die ganze Kapelle St.-Maria, Mutter der Sieben Schmerzen, ihre Pietà, die Muttergottes und alle Heilandsdarstellungen vor allem der Frage zu widmen, wie die Nichtigkeit des Todes sich darstellen lässt. Der Satz stammt aus dem Johannesevangelium und lautet in Gänze: „Es kommt die Stunde, und sie ist schon da, in der die Toten die Stimme des Gottessohnes hören und in welcher die, die darauf hören, leben werden“. Die Bethener Marienfigur mit ihrem so traurigen wie würdevoll-wissenden, um die Kraft ihres Sohnes wissenden Gesicht hat mich weniger ergriffen als der kleine Einschub in diesem Satz: „… und sie ist schon da …“ Lange stand ich vor dem Altar und betrachtete das endlich einmal im Wortsinn herrliche Mosaik aus hell- und dunkelgrünen, weißen und gelben Steinchen, das die Kreuzigung umdeutet in eine Verlebendigungsdarstellung: Aus Jesu Wunden wachsen Blumen und Bäume. Das Kreuz selbst mutet wie ein Baum an, das Tote kehrt zurück ins Leben, das Wort wird Wasser, es wird trinkbar, „Was er sagt, das tut. Füllt die Krüge“, und mir fällt einer der mir liebsten Verse von Paul Celan ein: „Ein Boot knospt im Regen …“
Brinkmann in Westerstede
Er hatte den Opel eines Mitschülers
in Ocholt gegen einen Poller gesetzt,
keinen Muckser mehr tat der Rekord,
und ein Dichter kannte sich nicht gut
mit Autos aus, so wenig wie in Ocholt,
aber am Bahnhof sah er, die Schmal-
spurbahn fuhr zu der Stadt, wo Hardy
Frerichs wohnte, Westerstede, Brink-
mann war dort die ganzen Jahre nie
gewesen, jetzt sah er auch, weshalb,
die Gleise, die Lok, die Waggons, so
grotesk, am besten wegrennen, weg,
aber das hätte Hardys Kutsche kaum
heilgemacht, außerdem hatte er Kohl-
dampf, zuletzt ja am Morgen in Vechta
ein Schinkenbrot auf die Hand gehabt,
er dachte an die Küche, das Licht und
den Güllegeruch seiner Jugend, Gülle,
die den Leuten bei Folterungen früher
ins Maul gegossen wurde, Gott, Gülle
for ever, o Jesus, zum Glück bald over
and out, er würde Essener sein, dachte
Rolf Dieter Brinkmann, als der lachhafte
Zug ihn durch Westerstede gondelte und
er dieselben stillen Straßen an dem Sonn-
tagmittag sah und dieselben paar people
wie im Schweinezüchterparadies Vechta.
Standen im Nieseln da und sahen ihn an.
Gespenst aus dem Dampf enger Träume.
Der „Park der Gärten“ in Bad Zwischenahn wirbt mit dem Slogan „Deutschlands größte Mustergartenanlage!“ – und wie ein Mustergartenanleger in einem IKEA-Outdoor-Lager komme ich mir vor auf dem pragmatisch bis in die letzte Hecke durchgetrimmten Areal. Die Schönheit der Blumen und Sträucher, der Bäume und Beete wird unsichtbar, Werbung für Firmen, Nutzbarkeit, Haltdauer usw. usf. Die Preisschildchen flattern im Wind, die Buddha-Massenzierplastiken tragen sie um den Hals. Hier fällt ins Auge, was Emerson sagt: „Jeder Garten ist ein Grab.“
Gärten in Bad Z.
Trockengarten … Jahreszeitengarten … Formgehölze-
garten … Weißer Garten … Farngarten … Mediterraner
Garten … Spiegelgarten … Leben und Arbeiten im
Garten … Sterben im Garten … Japangarten …
Chinagarten … Rosengarten … Waldgarten … Koi-
Zen-Garten … Islamischer Garten … Islamistischer
Garten … Poolgarten … Zukunftsgarten … Vergan-
genheitsgarten … Gegenwartsgarten … Cottage-
Garten … Wildobstnaschgarten … Supermarkt-
garten … Gebrauchtwarengarten … Baumarkt-
garten … Heilender Garten … Mörderischer
Garten … Immergrüner Garten … Immer-
kahler Garten … Immerdunkler Garten …
Traumzeitgarten … Albtraumgarten … Schre-
bergarten … Schreibergarten … Schreigarten …
Wassergarten … Tränengarten … Skulpturengarten
… Ölgemäldegarten … Ölgarten … Heckengarten …
Heckenschützengarten … Kunstgarten … Duftgarten …
Schulgarten … Kindergarten … Phloxgarten … Kakteen-
garten … Blumenzwiebelgarten … Heidegarten … Bäuer-
licher Nutzgarten … Mechanikergarten … Politikergarten …
Partygarten … Zwerggarten … Fischgarten … Meeres-
grundgarten … Wellnessgarten … Krankenhaus-
garten … Fluchtgarten … Leerer Garten