Noch einen kurzen Blick geworfen auf Château d’If. (Marseille, 14.12.)
Chevaucher, chevaucher, chevaucher!
Kafka irrt – wie so oft (der Irrtum ist sein Ziel) –, wenn er behauptet, ein Buch müsse (es muss gar nichts) die Axt sein (ein Buch ist aus Papier, aus Gedanken) gegen das gefrorene Meer in uns (in wem? Uns? Wer ist damit gemeint? Und gäbe es ein uns, gäbe es dann noch ein Inneres? Im Innern – wo ist das? – ist nichts gefroren – es wäre sonst tot – und liegt auch kein Meer – kein Meer liegt irgendwo innen –, ganz zu schweigen davon, dass ein Meer nicht einfrieren kann, nicht ganz, nur stellenweise, buchtweise). Nichts könnte eine solche Axt einem solchen (rein metaphorischen) Meer anhaben. Die Antarktiker seiner-, nein ihrerzeit gingen mit Eissägen vor gegen das in Sekundenschnelle zufrierende Wasser im Packeis, zwischen den Schollen im Weddellmeer. Axt? Ein Buch sollte (nein, nicht mal das) vielmehr Begleiter sein, Säge, Schiff, Boot, Schlitten oder Schlittenhund auf dem – wenn schon, denn schon – zugefrorenen Meer der Wirklichkeit.
Sonderbar – auf ganz besondere Weise – gepackt und innig bewegt von Hemingways „Inseln im Strom“, der gedehnten Zeit, der Langsamkeit der Handlung, die eine Nicht-Handlung ist, vielmehr die sprachliche Decke über einer furchtbaren, einer furchtbar effektiven Verdrängung. Der endlos tiefe Kummer des modernen Mannes. Der Irrsinn des Verlorenen. Die Lehre seines Scheiterns.
Im Zug liest ein älterer Mann Jörg Steiner – Grund genug, ihm deinen Platz zu überlassen.
Zwanzig Jahre lang hingen an der Wand hinter deinem Arzt die Kalender von dessen Kindern – den beiden blonden Jungs, beim Spielen, auf Reisen, auf dem Rücken von Tieren, mit der Mutter, ihm, dem Vater, deinem Arzt. Jetzt aber sind die Wände leer – denn die beiden Jungen sind erwachsen geworden, sie studieren, erzählt dein Arzt, in Budapest, in den USA … studieren Medizin. „Sie haben es schwer, Menschen zu bleiben.“ Dir fehlen nicht die Menschen. Oder doch? Dir fehlen die beiden Jungen auf den zwanzig Kalendern.
„Das Allerbesonderste an Schmetterlingen“, sagt das Kind, „das ist, dass sie sterben und wieder leben können. Sie schlafen einfach.“