Lilith

Da stand ich wieder in dem Kleegras wie der Junge, der ich einmal gewesen sein muss.
Rugedigu … Rugedigu … zwischen zwei gegurrten Taubentonfolgen lagen siebenunddreißig Jahre, siebenunddreißig Inselsommer, ein unendlich gedehnter, endlos sich weiterdehnender Moment.
Nein … eher, dachte ich da im Gras unter den Bäumen, ist es ein Nu, wie man früher sagte, eine Lidschlaglänge, nur dass sie nicht aufhörte, sondern fortbestand und fort und fort und fort, ein zeitloser Augenblick.

Und so trat ich unter ein großes Holundergesträuch und sah mit einem Mal knapp über mir durch die Zweige leuchtend tatsächlich wie in die Augen der Zeit.
Da saß eine weißlich-bräunlich gesprenkelte Eule und blickte mich an mit zwei goldenen Augen, eine junge Waldohreule, die nachts mit ihren Geschwistern über dem Inselgarten kreiste und ihr helles Signalrufen hören ließ, „Lilith! … Lilith!”, ehe sie sich in der Dämmerung vor Menschen wie mir in den Holundersträuchern verbarg. Das Gras darunter bot eine Hinhockgelegenheit. Doch die nutzte ich nicht, ließ sie lieber leichten Herzens verstreichen.

© Foto Augen: Ulrich Wasem, www.waldwissen.net
© Foto Eule: Remo Schulze, www.natur-portrait.de