Lüneburg

Meine Literatur sei stark philosophisch, sagen mir Studentinnen und ihr Professor. Strenggenommen sei ich ein Konstruktivist: Meine Welt, das Denken und Sprechen meiner Figuren gründe auf Konzepten, sei dichterisches Konstrukt. Ich erwidere, dass mein einziges mir bewusstes Konzept der Zweifel sei. Doch das stimmt so nicht. Das Gespräch ist mein Gebäude, und seine Mauern sind aus Zweifeln.

Beim Anblick des im abendlichen Nieseln daliegenden Bahnhofsvorplatzes vermisse ich etwas – und weiß wieder, als ich den mit jungen Bäumen bepflanzten, mit Fahrradständern und Rollstuhlrampen versehenen Platz überquere, wie es sich anfühlte und wie es klang, wenn ich vor 22 Jahren in einer Januarnacht hier die Taxe startete und der Daimler mit leisem Quietschen über das Kopfsteinpflaster glitt. (Lüneburg, 8.1.)

Lüneburg, die frühen Morgenstunden, the small hours, Nicolas Born, der auf den ersten D-Zug wartet und über die Viertelstunde in der Wartehalle und im gerade geöffneten Bahnhofsrestaurant voll kaltem Rauch ein Gedicht im Kopf skizziert. Born glaubte noch an das Gedicht, dessen Offenheit und Dauern. Als ich 1994 Lüneburg verließ, glaubte auch ich noch, zumindest eine Brücke und wenn nur eine zurück durch die Zeit könnte mein Gedicht sein.