The boy who ran down to the docks

„Roger Shattuck entwickelte im Gespräch mit John Cage die Theorie, dass der Ursprung für Saties Sinn für musikalische Rhythmen und die Möglichkeiten von Variationen innerhalb der Wiederholung, für den Effekt von Langeweile im Organismus in seinen endlosen Fußmärschen in der immergleichen Landschaft, tagein, tagaus, hin und her, zu suchen sei. Ich wollte genau die Strecke gehen, und das nur, um mir Notizen zu machen: Ich wollte ein Buch über das Gehen schreiben, das war eine gute Idee, die Wahrheit lautete, sie interessierte mich nicht mehr. Ich nahm den Zug aus der Stadt. (…) Ich vergaß Erik Satie, das Paris, durch das er gegangen und in dem er zu Hause gewesen war, gab es nicht mehr. (…) Was hatte ich erwartet? Wiesen und Gras? Pferde und Felder, Stille und Idylle? Die Musik der Gegenwart hatte längst Schnelligkeit und Lärm, Großstadt und Verkehr in sich aufgesogen, ich bewegte mich in einer imaginierten Vergangenheit, in einer Stadt, die es nicht mehr gab, ich folgte einem gewissen Monsieur Satie, einem Gespenst im braunen Samtanzug, mit einer Schirmmütze auf dem Kopf. Ich war eine lächerliche Gestalt.“ Tomas Espedal, aus „Gehen oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen“, Matthes & Seitz, Berlin 2011.

Vage Erinnerungen – Tautologie. Viel, woran du noch denkst und was du vergeblich wiederzufinden versuchst, ist unerinnerbar, ist Unerinnerung. (Bury St. Edmonds, 15.7.)

Noch einmal in Greenstead Green.

38 Jahre später besitzt das Gainsborough House in Sudbury einen technifizierten dreistöckigen Anbau, von dessen Dachgeschoss aus du über das ganze Städtchen blickst – und in dem, anders als in Benns Elternhaus, Gainsboroughs hängen, wenn auch sehr wenige und unbedeutende echte. Da ist mit einem Mal ein Café mit veganem Raspberry Cake in dem Garten, der in meiner Erinnerung ein alter Innenhof, ein alter Erinnerungshof war. Im ersten Stock ein Spinettlautsprecher. Als Junge hat mich hier die verfallene Wucht der Bilder in eine vergangene Zeit gehoben, und nirgends finde ich sie wieder als in den Fetzen, die von der Plakatsäule meines Gedächtnisses hängen und die schon Thomas Gainsborough gemalt hat.

„When they blitzed London I was a boy and ran down to the docks“, sagt der Alte neben mir in Westminster Abbey zu seinem Sohn aus Tennessee.

Bishop Stephen Conway verlässt die Kathedrale von Ely – sie ist 1300 Jahre alt – und übergibt Stab und Tiara seinem Nachfolger. Am Ende seiner letzten Predigt – ich sitze zufällig unter den Zuhörern und harre anderthalb Stunden lang aus, ehe wir flüchten – weint der beleibte Bischof mit dem freundlichen, teigigen Gesicht, entschuldigt sich und weint weiter. Er habe, heißt es in den endlosen Dankreden und Fürbitten, die sich anschließen, die Temperatur in ganz Suffolk gesteigert, sodass im Winter sogar das Wasser aus den Hähnen wärmer gewesen sei. (Cambridge, 17.7.)