Was erreicht Chandler, wenn er einer Figur „die moralische Statur einer Verkehrsampel“ attestiert? Abgesehen von seinem schönen und tiefen Witz – rüttelt das Bild wach, denkt man darüber nach und bezieht es gar auf sich selbst? Ist es mehr als das Aufleuchten eines Streichholzes und sein Verglimmen im Dunkel?
O Bamberg, deine gegeneinander schaukelnden Kleiderbügel klingen nach Glocken. (26.4.)
„Das Dunkel ist ein Ort, das Licht ein Weg.“ Dylan Thomas
Vor dem Haus knospen die beiden Platanen, sobald die benachbarten Kastanien nur blühen – sie haben abgewartet. Und wie die Knospen an den Bäumen kommen die Leute aus ihren Winterbuden und setzen sich vor die Cafés.
„Wir liegen alle in der Gosse, aber ein paar von uns sehen wenigstens die Sterne“, schreibt Oscar Wilde in seinem Stück „Lady Windermeres Fächer“ – wo das ein Mann über Männer sagt.
Am Morgen hat sich die getigerte in eine schwarze Katze verwandelt. (Paris, 16. Mai)
Krass, wie sie mich aufwühlt und zum Nachdenken bringt, oder vielmehr: nicht nur zum Denken, sondern auch zum Nachfühlen: Yusef Komunyakaas Dichtung. Nur bin ich mir nicht sicher, ob das wirklich noch, ob das wirkliche Poesie ist. Nein, schon indem ich das schreibe, fühle und weiß ich deshalb, dass ich mich irre: Und zieht Komunyakaa seine Antihaltung auch bis aufs Letzte durch, so ohne den hohen Ton oder den archaischen Ton, ohne das Gedicht in seiner Überlieferungsvielfalt unter dem Vorwand einer différance kaputtzuschreiben oder sich gar darüber spottend erheben zu wollen.
Komunyakaas Personae, die bis ins alte Ägypten zurückreichen, bis in die afrikanischen Kulturen voller Tier- und Naturgottheiten – wieso schreibt er nicht über Ezra Pound, klammert ihn regelrecht aus? So vieles könnte er spiegeln, der fast Gestorbene. Je tiefer ich mich einlese, umso stärker das Gefühl von einem Vorwand des Politischen, wo Komunyakaa die Grenzen doch erst wirklich durchbrechen könnte, würde seine Poesie nur mehr hinnehmen – und reflektieren –, z. B. Pounds Affronts.
In dieser Woche in Paris las ich immer wieder und übersetzte schließlich Yusef Komunyakaas Gedicht „The Gold Pistol“ über Umtriebe und Ende Gaddafis. Wie zum Glück noch immer in solchen von der intensivsten Lektüre verlebendigten Momenten hatte in ihrem Atelier in der Rue Daguerre die Malerin mit den lächelnden Augen und dem beständigen „Oui, oui, oui!“ auf den Lippen die Nachbildung eines goldenen Colts liegen – ein Spielzeug ihres Sohnes, wie sie meinte, ein James Bond-Gimmick.
The Gold Pistol
There’s always someone who loves gold
bullion, boudoirs, & bathtubs, always
some dictator hiding in a concrete culvert
crying, Please don’t shoot, a high priest
who mastered false acts & blazonry,
the drinking of a potion after bathing
in slow oils of regret, talismans, & amulets
honed to several lifetimes of their own,
the looting of safes & inlaid boxes of jewels,
moonlight on brimstone, fires eating sky,
& this is why my heart almost breaks
when a man dances with Gaddafi’s pistol
raised over his head, knowing the sun
runs to whatever shines, & as the young
grows old, there’s always a raven
laughing on an iron gatepost.
Aus: Yusef Komunyakaa, The Emperor of Water Clocks,
Farrar, Straus and Giroux, New York 2015