Die Rhône bei Avignon, so breit und weit das Auge reicht. Hochwasser bis zum Horizont. Über die silbernen Wasserebenen ziehen Vogelschwärme hin, ganz so, als gäbe es die Menschen nicht mehr. Nebelbänke fluten durch die Engpässe des Hügellands. Baumreihen und Wäldchen sind versunken, die Scheunen und Weiden auf den Inseln im überschwemmten Strom verlassen. Dies ist die Landschaft des neuen Romans „Letzte Linie zum Meer“.
Die Felshänge, die das Hochplateau von Valensole, dem „Tal in der Sonne“, begrenzen, sind am Ende des Winters – denn hier ist der Winter so gut wie vergangen – vom genau selben blassen und matten Graugrün wie die endlosen Reihen des Lavendels auf den Felderweiten – abgeblüht, schlafend, wie träumend kurz vor dem neuerlichen Erwachen. (St. Kurs, 28.1.)
Nichts hat Bestand von deinen Kindheitsorten, nur in deiner Erinnerung – weshalb das wohl ihre Aufgabe sein wird. In Bras d’Asse, rechts der heruntergekommenen Brücke (sie ist eine alte Madame, Jahrgang 1881, Victor Hugo lebte noch) über den Asse-Fluss, der Pont d’Asse, stand vor dreißig Jahren eine kleine Bar, ein Imbiss für die Familien, die auf dem Schotter des Flussbetts ihre Sommernachmittage verbrachten. Als hätte es dieses Häuschen nie gegeben, ist an dem Fleck heute alles verwildert, überschwemmt, mit Schutt zugeschoben. Solange dort niemand geht, der als Kind dort spielte, ist alles verschwunden, was einmal anders war … Erst mit der Erinnerung, die lebendig wird mit den Schritten hier, lebt auch der Ort wieder auf und wird Ufer. Die Stille der sich fortwährend verändernden Welt ist zu hören, durch die Erinnerung hört die Stille der Welt auf zu schweigen.
Der Mistral trocknet die Wäsche auf der Terrasse in einer halben Stunde.
Nebenan wohnt die Orthophonistin.