Vorletzte Notizen zu Zlín

„Ze dvou světů jeden mrtev, druhý bez moci se narodit“, „Von zwei Welten ist die eine tot, die andere außerstande, geboren zu werden“, betitelte Václav Chad eine späte Zeichnung. Eine andere heißt „Das Ende meines Tagebuchs, 18. Feb.“, sechs Tage später verhaftete und erschoss ihn die Gestapo.

This Mortal Coil – It’ll end in tears

Nebel stieg auf aus den Auen der March, der Morava am Morgen, an dem Tomáš Bat’a mit seiner Junkers vom Flugplatz bei Otrokovice nach Möhlin in der Schweiz fliegen wollte, um sich dort mit seinem Sohn abzustimmen über eine Konzernniederlassung, die die strikten Zollgesetze zu Anfang der Dreißigerjahre umging. Sein Privatpilot Jindřich Brouček riet aufgrund des Nebels vom Start ab, und es war noch keine sechs Uhr morgens, als ein anderer erfahrener Flieger anbot, aufzusteigen, um die Sichtverhältnisse zu klären. Doch Bat’a lehnte ab und wies Brouček an, die Junkers startklar zu machen. Es galt, keine Zeit zu verlieren. „Ich sage, Sie machen, Jindřich.“ Ist das nicht eigentlich das ganze Problem? Dass einer sich aufschwingen und entscheiden zu können meint über Machbares und Unmögliches? Es ist die eine Hälfte. Weshalb trat Jindřich Brouček seinem Chef nicht entgegen und verweigerte den Startbefehl? Er hätte gute Gründe anführen können, nicht zuletzt die Sorge um sein eigenes Leben. Acht Minuten flogen die beiden, Tomáš Bat’a in der fensterlosen Kanzel neben seinem Piloten, ehe der erfahrene Brouček, der als wagemutig galt, wie vorausgesehen die Orientierung verlor – .

This Mortal Coil – Filigree & Shadow

Im pünktlichen Zlínner Abendlicht steht ein Angler in der Dřevnice, während seine Frau an der Uferböschung auf einer Bank sitzt und in ihrem Handy scrollt. Das dürfte wahre Liebe sein.

Velké Kino (2025)

Im seit neun Jahren wegen Einsturzgefahr geschlossenen Riesenbau des Velké Kino komme ich mir vor wie an Bord eines Ozeandampfers vor seiner Verschrottung. Nach seiner Eröffnung 1931 fanden über 2.400 Menschen in František Lydie Gahuras Mehzweckhalle Platz, bei Regen strömten in ihrer Mittagspause Arbeiterinnen und Arbeiter in Foyer und Vorführsaal und sahen Reklamefilmchen und Unterhaltungsstreifen. Im Projektorraum hängt das Bild eines Busenmodells aus dem Kalender von 1995 neben einem Zettel mit zwei Vornamen und zwei Telefonnummern. In der alten Garderobe eine Sammlung ausrangierter Scheinwerfer. Auf das Flachdach prasselt der Regen, von dem man hört, wie er Kanälen durch das Mauerwerk folgt. Gahuras einst zukunftsweisende Stahlverstrebungen wirken wie zurückgelassene unlesbare Riesenlettern aus einer industriellen Antike, und der Bühnenvorhang ist zwar verschwunden, nicht aber die Rollbahn, über die er bei Öffnen und Schließen lief, ebenso wenig wie die Überreste der ersten Leinwand an der Backsteinmauer aus einer Zeit, als es im Velké Kino noch keine Bühne gab, nur 2.400 Stühle in einem einzigen dunklen Raum, durch den Licht flimmerte. Alle Menschen sitzen noch immer dort, denn wohin sollen Gespenster, wenn nicht ins Kino? Dort ist alles wie sie. Der Denkmalschützer zeigt mir einen Raum mit einem Bord nur für die großen schwarzen Buchstaben, aus denen die Titel der gezeigten Filme zusammenbuchstabiert wurden. Aus den Trolleybussen, die auf der Ausfallstraße unterhalb des Kinos unverändert hin und her pendeln – denn es sind exakt dieselben –, konnten die Leute die Filmnamen lesen.