Aus den Rimbaud-Übersetzungen

Bottom

La réalité étant trop épineuse pour mon grand caractère, – je me trouvai néanmoins chez Madame, en gros oiseau gris bleu s’essorant vers les moulures du plafond et traînant l’aile dans les ombres de la soirée.
Je fus, au pied du baldaquin supportant ses bijoux adorés et ses chefs-d’œuvre physiques, un gros ours aux gencives violettes et au poil chenu de chagrin, les yeux aux cristaux et aux argents des consoles.
Tout se fit ombre et aquarium ardent. Au matin, – aube de juin batailleuse, – je courus aux champs, âne, claironnant et brandissant mon grief, jusqu’à ce que les Sabines de la banlieue vinrent se jeter à mon poitrail.

Bottom

Die Wirklichkeit zu dornig für meinen großen Charakter, – fand ich mich dennoch bei Madame wieder, großer graublauer Vogel, der sich zu den Deckenzierleisten emporschwang und durch die abendlichen Schatten den Flügel hinter sich herschleifte.
Zu Füßen des Baldachins, der ihren bewunderten Schmuck und ihre körperlichen Meisterstücke trug, war ich ein großer Bär mit violettem Zahnfleisch und vor Kummer schlohweißem Fell, die Augen aus Kristallen und dem Silber der Konsolen.
Alles wurde zu Schatten und feurigem Aquarium. Am Morgen – kämpferische Junimorgenröte – lief ich auf die Felder, Esel, posaunte los und fuchtelte herum mit meiner Klage, bis die Vorstadtsabinerinnen kamen, um sich mir an die Brust zu werfen.

Die goldene Pistole

Immer ist da irgendeiner, der liebt Gold
-barren, -boudoirs & -badewannen, immer
versteckt sich ein Diktator in einer Betonröhre
& ruft „Bitte schießt nicht“, ein Hohepriester,
der falsche Posen & Wappen einstudierte,
die Elixiere nach dem Bad in zähflüssigen
Ölen des Bedauerns, die zig-fach potenzierte
Lebensdauer von Talismanen & Amuletten,
Plündern von Safes & Intarsienschmuckkästen,
Mondlicht auf Schwefel, Himmelschluckerfeuer,
& deswegen bricht es mir beinahe das Herz,
wenn ein Mann tanzt, der Gaddafis Pistole
in die Höhe reckt & dabei weiß, die Sonne
folgt allem Glänzen, & indes das Junge
älter wird, lacht da immer ein Rabe
auf dem Pfosten eines Eisentors.

*
Aus: Yusef Komunyakaa, Der Gott der Landminen
Übersetzt aus dem Englischen und mit einem Nachwort von
Mirko Bonné, Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2024

Utopie

אוטופיה
״זוכרת איך זה היה פעם,
כשהשמש מילאה את השמיים?
… הימים האלה לא ייגמרו לעולם.״
רוברט סמית

הַבִּיטִי, הַשַּׁחַר
חוֹשֵׂף אֶת הָעִיר מִן הַלַּיְלָה
בְּרוּחוֹת קַלּוֹת,
בִּזְהִירוּת אַרְכִיאוֹלוֹגִית מֻפְלֶגֶת.
שְׁלוּלִיּוֹת עֲכוּרוּת עוֹלוֹת אֶל הָאוֹר
בְּשִׁירוֹ.
וְשֶׁלֶג, מַבּוּל מִתְפּוֹצֵץ שֶׁל רךְֹ.
זִמְרָתָן הַפְּרוּצָה שֶׁל הַצִּפֳּרִים מְנַבֵּאת
בְּקָרוֹב תִּתְפַּתַּח שֶׁמֶשׁ חֲדָשָׁה,
לֹא כֶּתֶם בַּעֲרָפֶל כְּמוֹ
טְלַאי מְכעָֹר.
מִישׁוֹרֵי הַפְּרִיחָה וְהַיָּמִים הָאֵלֶּה לֹא יִגָּמְרוּ לְעוֹלָם.
מִי שֶׁרָצִינוּ לִהְיוֹת,
הַשָּׁנִים הַמִּתְאַמְּצוֹת אֶל אֵיזֶה סוֹף,
מֵתוּ.
עַכְשָׁו אֲנַחְנוּ יְלָדִים.

„Weißt du noch damals wie es war
als die Sonne den ganzen Himmel ausfüllte
… diese Tage hörten nie auf.“
Robert Smith

Schau, die Dämmerung,
mit archäologischer Sorgfalt
schält sie bei leichtem Wind
die Stadt aus der Nacht.
Pfützen steigen ins Licht,
sein Gedicht.
Und Schnee, eine sachte Sturzflut.

Der brüchige Vogelgesang prophezeit
das Anwachsen einer neuen Sonne,
kein Nebelfleck wie
ein hässlicher Aufnäher.
Die blühenden Weiten und diese Tage hören nie auf.
Die wir sein wollten,
einem Ende entgegenstrebende Jahre,
sind gestorben.

Jetzt sind wir Kinder.

Shimon Adaf

(Aus dem Hebräischen von Mirko Bonné)

Aus den Übersetzungen

Emma Lew

Durchrütteln der Formen

Ich wollte meine Ehe auflösen, die Grenzen sprengen,
es gut haben, Vergessen finden, alles in Höhlen,
auf einem Walfänger, an hundert anderen Orten.

Durchtriebene Träume im bedrohlichen Kopf,
zog ich los durch die hinplätschernden Wellen:
Ich wollte meine Ehe auflösen, die Grenzen sprengen!

Hinter mir Wasserfälle, vertane Zeit und die ersten Keuschheiten
    zur Verunstaltung der Küste,
setzten mich wehrlose Männer in Brand
auf einem Walfänger, an hundert anderen Orten.

Nein, gar nicht mich, sondern mein Double, mein Ebenbild;
nicht jemanden, sondern jeden mit einer Art Cape und Kapuze –
ich wollte meine Ehe auflösen, die Grenzen sprengen.

Ich bin so was wie eine Guillotine! Bin nicht grenzenlos Kummer!
Wie nackt wirkt die Erzählung! Und nichts! Und nichts und nichts
    und nichts …
auf einem Walfänger, an hundert anderen Orten!

Könntest du mich nur sehen, wie ich weiter und weiter eile,
stammelnd wie ein Heiliger in der Weite der Felder!
Ich wollte meine Ehe auflösen, die Grenzen sprengen
auf einem Walfänger, an hundert anderen Orten.

*

„Rattling the Forms“, in: „Crow College“, Giramondo, Artarmon 2019
Unveröffentlichte Übersetzung

Aus den Übersetzungen

Emily Dickinson

471

Die Nacht – dazwischen Tage lagen –
Der Tag der Gestern war –
War Eins – mit einem Tag von Morgen –
Und jetzt – war Nacht – war’s hier –

Blick sie hinweg – Nacht – wird nicht müde –
Ist wie der Sand am Meer –
Zu unscheinbar die Unterschiede –
Bis nie mehr – Nacht sein wird –

*
Dickinson schrieb das Gedicht um 1862, es erschien erstmals 1945, 59 Jahre nach ihrem Tod, im Band „Bolts of Melody“. Die Bezifferung folgt der Chronologie durch Thomas H. Johnson (1955). Ich übersetzte das Gedicht als Motto meines Romans „Nie mehr Nacht“ (2013), der seinen Titel nach dem Abschlussvers meiner Übertragung erhielt.

Aus den Übersetzungen

Ghérasim Luca

Reime unter Anfangsverdacht

animismus
atomismus
dynamismus
euphemismus
islamismus
konformismus
legitimismus
non-konformismus
optimismus
pessimismus
thomismus
transformismus
inanimismus
albinismus
anachronismus
anglikanismus
antagonismus
arianismus
baconismus
brahmanismus
calvinismus
kartesianismus
scharlatanismus
chauvinismus
christianismus
kommunismus
kretinismus
zynismus
daltonismus
darwinismus
determinismus
donjuanismus
evolutionismus
feminismus
gaskonismus
germanismus
hegelianismus
hispanismus
humanismus
illuminismus
indianismus
jakobinismus
jansenismus
japanismus
lakonismus
latinismus
lutheranismus
maschinismus
mohammedismus
mandarinismus
mechanismus
modernismus
monismus
mormonismus
opportunismus
paganismus
pangermanismus
platonismus
presbyterianismus
protektionismus
puritanismus
rabbinismus
republikanismus
egoismus
heroismus
papismus
priapismus
antisemitismus
anthropomorphismus
orphismus
polymorphismus
sophismus
theosophismus
aphorismus
barbarismus
karbonarismus
cäsarismus
empirismus
epikurismus
figurismus
formalismus
funktionarismus
gigantismus
gongorismus
humorismus
lyrismus
masochismus
mesmerismus
manierismus
meteorismus
militarismus
naturismus
naturalismus
parlamentarismus
partikularismus
pauperismus
purismus
pythagorismus
quäkerismus
rigorismus
terrorismus
unitarismus
utilitarismus
neurologismus
spinozismus
absolutismus
athletismus
asketismus
automatismus
surrealismus
dadaismus
banditismus
bigottismus
klosterismus
kosmopolitismus
kubismus
futurismus
nostalgismus
despotismus
dilletantismus
dogmatismus
eklektizismus
fanatismus
favoritismus
hugenottismus
hypnotismus
idiotismus
ignorantismus
jesuitismus
kantismus
magnetismus
moderatismus
autismus
nepotismus
obskurantismus
parasitismus
patriotismus
pedantismus
peripatetismus
phonetismus
pietismus
presbytismus
proselytismus
protestantismus
proxenitismus
quietismus
organismus
rheumatismus
romantismus
sadismus
semitismus
skitourismus
spiritismus
synkretismus
altruismus
truismus
arrivismus
atavismus
zivilismus
kollektivismus
exklusivismus
inzivilismus
panslawismus
positivismus
relativismus
archaismus
judaismus
lamaismus
arabismus
pharisäismus
snobismus
strabismus
anglizismus
katholizismus
kritizismus
exorzismus
gnostizismus
gräzismus
mystizismus
ostrazismus
jotazismus
rhotazismus
solözismus
skeptizismus
stoizismus
katechismus
fetischismus
monismus
monarchismus
schintoismus
buddhismus
druidismus
hermaphroditismus
methodismus
monadismus
atheismus
deismus
epikureismus
manichäismus
monotheismus
polytheismus
pantheismus
analogismus
dialogismus
magismus
neologismus
paralogismus
syllogismus
alkoholismus
animalismus
aristotelismus
automobilismus
kannibalismus
kasernismus
kapitalismus
kommunalismus
konzeptualismus
dualismus
duellismus
evangelismus
fatalismus
föderalismus
idealismus
imperialismus
industrialismus
journalismus
liberalismus
loyalismus
machiavellismus
materialismus
merkantilismus
mongolismus
nationalismus
nihilismus
noctambulismus
nominalismus
orientalismus
pantagruelismus
parallelismus
personalismus
probabilismus
provinzialismus
radikalismus
realismus
royalismus
sensualismus
sentimentalismus
sozialismus
somnambulismus
spiritualismus
symbolismus
traditionalismus
vandalismus
verbalismus
vitalismus
vokalismus
kataklysmus
dandyismus
paroxysmus
lauter synonyme
synonyme laute
homonyme laute
homographe
homoklaste
homolaterale
homophage
homophile
homophobe
homophone
homophone
homophone
homophone
homophone
homophone
homophone
homophone

*
„Crimes sans initiale“, in: „La proie s’ombre“, José Corti, Paris 1998
Unveröffentlichte Übersetzung

Aus den Übersetzungen

Samuel Beckett

was tät ich ohne diese welt ohne gesicht und ohne fragen
wo zu sein nur einen augenblick währt jeder augenblick
verströmt ins leere ins vergessen gewesen zu sein
ohne diese welle wo am ende
körper und schatten einander verschlingen
was tät ich ohne dieses schweigen schlund des murmelns
der rasend um hilfe keucht um liebe
ohne diesen himmel der sich erhebt
über dem staub seines ballasts

was täte ich ich tät wie gestern auch wie heute auch
blickte durch meine luke ob ich nicht allein bin
beim irren und beim kreisen fern von allem leben
in einem hampelmannraum
ohne stimme unter den stimmen
eingesperrt mit mir

(„que ferais-je sans ce monde“; aus: „Six poèmes“ (1947–1949))
*
Aus: Samuel Beckett, „Sechs Gedichte / Six poèmes“
Aus dem Französischen von Mirko Bonné
In: „Halbe Sachen“ Wolfenbütteler Übersetzergespräche IV–VI
Wolfenbütteler Akademietexte 24, Wolfenbüttel 2006

Aus den Übersetzungen

Rutger Kopland

Auszug von Töchtern

Sie mussten tatsächlich gehen, ich hatte es gesehen
an ihren Gesichtern, die sich langsam wandelten
von denen von Kindern in die von Freunden,
von denen von früher in die von jetzt.

Und gespürt und gerochen, als sie mich küssten,
ihre Haut und ihr Haar, die nicht mehr für mich
bestimmt waren, nicht so wie früher,
als wir noch Zeit hatten.

Es war in unserem Haus eine Welt des Sehnens,
Glücks, Schmerzes und Kummers gewachsen, in ihren
Zimmern, wo sie ansammelten, was sie
mitnehmen sollten, ihre Erinnerungen.

Jetzt da sie weg sind, schau ich aus ihren Fenstern und seh
genau die gleiche Aussicht, genau die
gleiche Welt von vor zwanzig Jahren,
als ich herkam, um hier zu wohnen.

(„Vertrek van dochters“; aus: „Dit uitzicht“, 1982)

*
Aus: „Dank sei den Dingen“ Ausgewählte Gedichte 1966 – 2006
Aus dem Niederländischen gemeinsam mit Hendrik Rost
Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2008