Gespräche wie Baumgruppen

Vier Reinmachedamen am Nebentisch führen das tiefsinnigste Gespräch seit meiner Ankunft gestern. (Berlin, Charlottenburg, 1.9.)

Autoaufkleber (quer über die Heckscheibe): EISERN UNION

Die ENDYMION-DATEIEN!

Immer öfter die Abende, an denen dich nur die Musik rettet – wovor? Dem Klanglosen, dem Abgesang. Vor Jahren hätten die Gedichte das für dich getan, dir Trost gespendet. Aber Gedichten ist nicht mehr zu trauen, den falschen eh nicht, und den echten, die so selten geworden sind, kaum mehr … sind ja so schwer zu erreichen, die Biester. Hier, diese Notate, dieses Notizengestrüpp, zig verhinderte Gedichte. Genichte. (Bamberg, 4.9.)

Flexibler Kopf,
mit Zungenreiniger.

Es gibt Gespräche wie Baumgruppen und Unterhaltungen, die ähneln Vogelflügen. Aber das meiste Reden ist Zaun. (7.9., Mainauen)

Der Muskelprotz wankt seinem Söhnchen hinterdrein wie dessen Doppelgänger – Riesenbaby. (Stellingen, 9.9.)

Sommerwolken

Sommerwolken (Foto: Juliette Aubert)

Wie das Tageslicht, das Feuer, seinem Ego Kraft verleihe und es verfeinere, schreibt John Cheever: „With my eyes closed in sleep I seem to be a very different man. The moral quality of light.“

Das geliebte Ungeheuer abgeschlossen, ein Tatzelwurm: Henry James’ Brieferzählung „The Point of View“ in meiner Übersetzung, „Wie man es sieht“.

Mireille Darc ist gestorben. Wie furchtbar die Welt ohne sie. „Darc“ wählte sie als Künstlerinnenname, nach Jeanne d’Arc. Sie starb nach langer Herzkrankheit … wer hat das nicht verhindert? Schande über den Tod, einmal mehr. (28. August 2017)

„… wenn du an der Laurenzihaltestelle nunderwärts stehst …“ – wundervolles Fränkisch.

Die beiden Bauarbeiter, die das Barockgebäude gegenüber ausschälen, werfen alles im Haus nun Unnötige hinunter in den Rosengarten. Vormittag mit mächtigen Staubwolken, kolossalem Lärm. Latten, Bretter, Steine, Toilettenbeckenbrocken in den Beeten. Wolken quillen oder quellen aus den Zimmern durch die Fenster in die Gärten hinaus. Wabern durch die Höfe. Die Vögel ducken sich weg. Die Rosen versinken unter dem Staub. Die Bamberger wundern sich, aber keiner bleibt stehen.

Sommerwolken 2 (Foto: Juliette Aubert)

Tous les mercredis

Am See in der ersten Mittagshitze nach den Tagen des Mistral beobachte ich einen kindergroßen Windwirbel, der, über den Sand rotierend, an einem Spielplatzzaun entlang, hinunter zum Wasser wandert, wo er sich auflöst. Die Blätter und der Staub in seinem unsichtbaren Schlauch sinken zu Boden und bleiben reglos liegen. (Les Vannades, 12.8.)

Das Quietschen der Schaukeln ist der Gesang der Vögel in den Uferbäumen.

Jeden Mittwoch. Immer mittwochs. Alle die Mittwoche. Ach, ihr Mittwoche alle. Die ganze Zeit Mittwoch. Immer Mittwoch, unablässig Merkurtag. Tous les mercredis.

Hornissenkämpfe auf der Terrasse unter dem Feigenbaum.

„In Digne“, sagt dein Herz, „gibt es immer Gewitter.“

Und das Kind sagt: „Hab ich abgescreenshottet.“

Das mittägliche Schwirren in der Krone des Feigenbaums stammt von einem (immer demselben?) Schwarm Vögel, der sich darin niederlässt und sogleich zu diskutieren beginnt. Wem gehört hier was? Den Menschen, diesen mickrigen Stoffmollusken? Oder uns? Ja, uns! Her damit. Her mit unseren Feigen! Holen wir sie uns! Aber halt, langsam. Wir haben Zeit. Hier oben langen die nicht herauf, selbst mit ihren langstieligen Mistwerkzeugen nicht. Molluskenärsche. Volltrottel aus Asche und Kot. Flügellos, ganz flügellos! So schwirren sie, und zetern, und lachen. Ab und an prasselt es drei, vier Feigen, platsch, auf den Beton von uns Molluskenärschen. Dann rauscht es auf, dann rauschen sie davon. Stare? Drosseln? Ich kenne ihre Namen nicht.

Der kurze Jubel, der furchtbare Trubel, der Geld bringt und Einsamkeit, geht von neuem los. Longlist-Nominierung. Der Deutsche Buchpreis. Der Buchpreis der Deutschen Bank AG. Freunde schweigen sich aus und ziehen sich zurück, als hättest du sie beleidigt. Triumphale Niedergeschlagenheit. (Volx, 15.8., am 21. Geburtstag deines Sohns)