Zum letzten Mal
die Zähne abgetastet
mit deiner Zunge,
das letzte Mal
bestaunt den Baum,
der die Straße baut,
zuletzt noch einmal
die Küste besucht,
Küsse im Dunkeln.
Zur Erinnerung an Günter Herburger
Zum letzten Mal
die Zähne abgetastet
mit deiner Zunge,
das letzte Mal
bestaunt den Baum,
der die Straße baut,
zuletzt noch einmal
die Küste besucht,
Küsse im Dunkeln.
Zur Erinnerung an Günter Herburger
„Ich träume nicht so viel, wenn ich die Augen zuhabe“, sagt das Kind. „Am meisten träume ich, wenn ich die Augen aufhabe und rumlaufe.“ (30.6.)
„Ja: Es ist eine Zeit, in der so viel möglich war wie vielleicht noch nie, im Bösen und im Guten, und vor allem im Unerhörten; geheimnisvolle Zeit, in der jetzt etwa lang vor dem Morgen der Tauregen aus einem Baum klatscht.“ Peter Handke, „Kali“
„Urban Sketching“, heißt es, sei zurzeit schwer angesagt. Man strichele, mit Bleistift, auf Papier, was man im Alltagsleben, im Freien, so sehe. Alles sei möglich. – Ich wusste es immer: Die Wende kommt, es ist nur eine Frage der Zeit. Bald zertrümmern wir unsere Smartphones. Oder lassen sie einfach irgendwo liegen, wie eine durchlöcherte Mütze, die zu nichts mehr taugt.
„Wenn ein Tier stirbt, kann keiner das reparieren“, sagt das Kind. „Und genauso kaputt ist ein Herz.“
Die in die Lesung einführende Universitätsprofessorin spricht über die Kunst des lückenhaften Erzählens in Daniel Kehlmanns Eulenspiegelroman „Tyll“. Eine Lesung im Freien, im Garten des Literarischen Colloquiums am Wannsee in Berlin. Linder Abend. Tiefstehende Sonne. Der herrliche Wind mit seinem glücklichen Rasseln in den Uferbäumen. Die Professorin setzt alles daran, dem Buch, das vor ihr auf dem Lesepult liegt, ihr Wissen zu entlocken, magierinnenartig wischt und zieht und zaubert ihre Hand darüber hin, und tatsächlich: Im Gegenlicht deutlich zu erkennen als Schatten, wischt eine Schwalbensilhouette aus den Seiten, entwischt dem Roman und entkommt über den See. (Berlin-Wannsee, 5.7.)
Die Geizigen halten sich für freigiebig, denn sie geizen sogar mit ihrer Habsucht.
Wie gesagt: Mein Outdoor-Textilmanagement lässt zu wünschen übrig, da muss ich mich um Optimierung bemühen!
Auf einer Parkbank (einer) sitzen fünf Müllmänner in der Sonne unter den Bäumen und lachen. (Barmbek, 13.6.)
Jeder frei gewordene Fleck in der Stadt wird sogleich eingenommen von jemandem, der ihn zu benötigen scheint oder meint – als Abstellplatz, als Räumfläche, Erholungsort, als bloßes Eigentum, egal wofür. Ist das ein Zeichen für Enge?
OMD – Orchestral Manoeuvres in the Dark
„Ich hisse die Haydnflagge – das bedeutet: / ,Wir ergeben uns nicht. Sondern wollen Frieden.’“ Tomas Tranströmer
Wieder die fünf Müllmänner gesehen, aber diesmal in einem Viertel drüben im Westen. Auch da saßen sie auf einer Bank herum und waren bester Stimmung.
Im Innenhof arbeiten zwei Handwerker den ganzen Tag lang schon an der Erneuerung des meist verwaisten Kinderspielplatzes. Eine mühsame Arbeit offenbar! Denn oft setzen sie sich und rasten – wie die Müllmännerriege – auf einer Bank im Schatten.
Etwa achtzig Wörter brauchst du, bis deine Handschrift nach den ganzen Tagen über der Computertastatur wieder flüssig und leserlich wird.
You can’t repeat the past.
F. Scott Fitzgerald
Am Morgen, wenn das Fensterlid aufgeht,
stürzen zwei Elstern durch die Weinbergzeilen,
wie verfolgt von dem Sturmwind des Bösen oder
einem Trauma. Was hat das Flüchten überall
mit deinem Leben zu tun?
Brot der Erinnerung,
heillos zerbröselt, oft einfach nur vom Tisch gewischt,
und unaufwärmbar das Mutterherz, das alles besser
weiß – Kinderspiel, weil ja für dich nichts sicher
ist.
Vielleicht darum möchtest du immer –
Flüchten auch das – zurückreisen nach zerdehnten
Jahrzehnten an Orte, wo du als Junge, ein Bub, z. B.
schwimmen warst im Garten eines Sommerhotels
hoch über dem Eisacktal.
Eidechsen sind verlässlicher
Zeugen als die Erinnerungen und verschwinden auch
behänder. Grün summt am Abend das Gras immer
noch die Lieder, die verloren gingen, ohne dass ihr
Brüder sie gesungen hättet. Süße Verlorenheit
Vanillegeruch in der Bäckergasse.
Was vergangen ist,
das lässt sich nicht wiederholen, schreibt Fitzgerald, und
Gatsbys Empörung darüber mag Wahn sein, Selbstsucht,
genauso ist sie Ausdruck einer unwandelbaren Liebe.
In „The Great Gatsby“ behandelt F. Scott Fitzgerald eines seiner Kardinalthemen: die Vergänglichkeit und – noch brisanter – die voraussetzungslose Fortführung des Vergangenen. So kommt auf die unwiederbringlich verloren scheinende Liebe Daisys – seiner inzwischen verheirateten Verflossenen – nicht Gatsby zu sprechen, sondern dessen Freund und Nachbar Nick, der nach einem rauschenden Fest auf Gatsby Anwesen zu ihm sagt: „I wouldn’t ask too much of her“, und: „You can’t repeat the past.“
Gatsbys Reaktion ist so empört wie seit einem beinahen Jahrhundert einzigartig.
„Can’t repeat the past?“, ruft er – ungläubig – aus: „Why of course you can.“
Die deutsche Übersetzung dieser einzigartigen Replik ist weniger als dürftig. Sie zeigt keinerlei Interesse an der Verdeutlichung von Gatsbys Projekt, die Vergänglichkeit – und damit die Vergangenheit – aufzuheben.