Drache, Mars und Herkules

Das Kind versucht mit den Fingern, indem es über die Buchseite streift, die Seite großzuzoomen, vergebens, und ich warte vor dem Display des Geldautomaten darauf, dass meine What’sApp-Nachrichten erscheinen, vergebens. (27.10.)

Drei von Rankenpflanzen überwucherte Fahrradwracks, angekettet, halb zerrissen und ausgeschlachtet, im Nieselregen. Sie heißen Drache, Mars und Herkules.

Slogan, Verächtlichkeit der Slogans: „Be real, be true, be you!“

Das Kind – das immer älter gewordene – sieht nicht ein, weshalb Theodor Fontane sich nicht vergleichen lassen soll mit Bret Easton Ellis. Es geht um Langeweile. Es geht darum, etwas auszusprechen oder etwas unausgesprochen zu lassen. Es geht um Verstörung, um Verstörtheiten.

Hannover heißt nicht länger Hannover. Hannover heißt jetzt H’over.

Am Hauptbahnhof sang und schrie – „aus Leibeskräften?“ Ja. – monatelang letztes Jahr eine Rolltreppe. Die Leute blieben stehen, verwundert von dem so musikalisch oder beinahe menschlich anmutenden Lärm, lächelten, ahmten Instrumente nach, zogen jammervolle Grimassen. Die Rolltreppe wurde schließlich repariert – zum Schweigen gebracht. Nun aber kreischt und rumort sie von neuem. Man wird die nicht zum Schweigen zu bringende Treppe ausbauen und wegschaffen müssen. (St. Georg, 30.10.)

Kings of Convenience – Riot on an empty street

„Laterne, Laterne, Laterne“, singt das Kind, „Sonne und Mondsterne!“

Leben und Schlafen, Lieben. Lieben und Bei-dir-Bleiben. Bleiben nur bei ihr, die dich dir ersetzen kann. Nirgends sonst als bei ihr, als bei ihr zu Haus. Das flüchtige Wohnen. (Arolsen, 2.11.)

Die einzigen Vergnügungsdampfer

Das Sterben der Lyrikverlage setzt sich fort und wird mit einem Mal bitter deutlich. Ist das die Grenze des Poetischen? Nein. Wie auch, wenn der Zweck eines Großteils der so genannten Gedichte die Herabwürdigung jeder Form von Poesie ist?

Am Tiergarten verschwindet hinter einem Anbau ein Wandbild, das ich kenne, seit ich gezwungen bin, nach Berlin zu fahren. Das Bild stellt(e) einen lebensgroßen Baum dar, gemalt auf eine Wand, die teils zerbrochen war und hinter der andere – vorgestellte? – Wirklichkeitsschichten sichtbar wurden. (Berlin-Tiergarten, 20.10.)

Durchsage der Deutschen Bahn: „Sehr geehrte Damen und Herren, leider ist unser Zug verkehrtherum gereist, wir bitten dies zu entschuldigen.“

Plötzlich hältst du am Küchentisch des Freundes eine Postkarte von Truman Capote in der Hand.

Arcade Fire – The Suburbs

Durch den dicksten Schwamm hindurch zu spüren: die angebrannten Inseln auf dem Grund des Kochtopfs – warum? (Physiker sind nicht gefragt.)

Unter der Ringstraßenbrücke – im Schatten an einem grauen, immer wieder regnerischen Tag – der Maler, der Malergeselle oder vielleicht junge Malermeister, bekleckst, beschmiert, wie eingekotet von einem Vogelschwarm, unter dessen Umherschwirren er stundenlang geschlafen hat. (Barmbek, 22.10.)

Sun Kil Moon – Universal Themes

„Only the rusty-sided freighters / go past the moon’s marketless craters / and the stars are the only ships of pleasure.“ Elizabeth Bishop