Hitze

Die Kellertür steht offen, über dem Treppenniedergang brennt eine Lampe auf gleicher Höhe wie in der Küche jene vor der Tür zum Keller. Die Tür steht offen, und das Kind blickt lange gedankenvoll hinunter in den Kellerniedergang, bevor es sagt: „Die Tür ist ein Spiegel, durch den wir hindurchgehen können.“

Und Grenoble ist ein in den Bergen gestrandeter Ozeandampfer.

Das Gleichgewicht von Licht und Schatten, mit dem du aufgewachsen bist und immer gelebt hast, existiert hier nicht, es ist verrückt in die beinahe absolute Helligkeit, die die Wüste erahnen lässt und gegen die nur noch die Nacht aufbegehrt. Jeder Baum wird attackiert vom Licht, von der Hitze, denn er hat Wasser in seinem Innern und spendet unerlaubterweise Schatten. Die Baumschatten hier sind dünn, alt und erschöpft, aber auch klug, bescheiden und unbestechlich. Die Sonne lastet auf dem Freien, der Gegend, dem verdursteten Skelett des Flusses. Die Mittagshitze zwischen 10 und 17 Uhr ist eine unaufgeklärte Gewalttat. Die Schatten zittern. In den zitternden Schatten hältst du inne, unmerklich, ehe dir die Hitze auf den Rücken springt. Schreiender Oleander. Unsterbliche Pflanzen harren im gleißenden Licht aus. Sie spenden keinen Schatten, niemandem, keiner Ameise, nur sich selbst, ihrem Innern, das sie verhüllen, damit es nicht verbrennt. Fass sie an mit heißen Fingern, und die weiße Pflanze zerbricht, weil du voller Wasser bist. (Volx, 11.8.)

Depeche Mode – 101

Unvermutet, unvermittelt Regen, ein heavy summer rain – die Tropfen schwer wie die Gerüche nach Erdreich, Heu, Feuer, „nach Terpentin“, würde Pasternak vielleicht sagen.

Im Schlamm die Spuren von Tieren und uns, die Spuren von Menschen und Tieren.

Am Brunnen in Oraison. Bienen sitzen auf dem steinernen Rand und trinken von dem übersprudelnden Wasser.

Sie sammelt Samenkapseln der Belle de nuit vom Boden auf – einer alten Treppe in Montfort – und lässt vielleicht ein dutzend schwarzer Kügelchen in ihr Portemonnaie rieseln: „weil sie da sicher sind.“

„Das Echo ist mein Nachbar. Der Nebel ist mein Nachfolger.“ René Char

Rien n’est jamais allé

Gewitternacht in Rolle am Genfersee. Das Silbertablett, auf dem Évian-les-bains herübergezittert kommt auf die Schweizer Seite. Dort, in Évian, versuchte ich 1983 reich zu werden, indem ich, kaum achtzehn, in die Spielbank ging und drei Mal 50 Mark auf Rouge setzte, ohne Erfolg. Ein alter Rezeptionist gab mir damals einen Lederschlips, da er mich ohne Krawatte nicht einlassen könne. Die Nacht seinerzeit, wo verbrachte ich die? Am Seeufer, unter den Sternen? Rien ne va plus. Rien n’est jamais allé. Nichts ist jemals gegangen.
In Rolle warte ich am Seeufer auf Godard. Aber er kommt nicht an diesem Vormittag.

Mit großen runden dunklen Augen glotzt die Dorfjugend in die Welt hinein. Von ihnen war einer auch ich. Der Semmelgeruch. Die Süßigkeiten in der Bäckerei. Die Bäckerei als Herz des Dorfs. Die Hirnwurst in der Auslage des Metzgers, des Schlachters, dessen Sohn zu meinen besten Freunden zählte. Die Buben verstecken sich in den Johannisbeerbüschen. (Irsee, 30.7.)

An der alten Klostermauer entlang hinunter zum Brunnen vor der Kirche. Ein Kieselweg. Der Kieselweg voller Nacktschnecken, zu denen wir früher Pferdeschnecken sagten. Wir?

Drei Sonnenblumen in der Vase im Treppenhaus verlieren ihre Pollen – wie die Birnen eines Birnbaums liegen die gelben Körnchen kreisförmig unter den Blumen, den Bäumen, den Sonnen (31.7.)

Das Leopardenmuster aus Regenflecken auf dem gewachsten Terrassengeländer.

Die Verhändikäppierung!

Am frühen Morgen trittst du aus dem Haus im Oberdorf (wie in deiner ferngerückten Kindheit) und erblickst auf der ersten Hauswand das Schattenspiel des Baums davor: Blätter und Zweige als Fische und Wellengekräusel. Dann im Bach hinunter ins untere Dorf (wie in deiner unvergessenen Kindheit) – die stillstehenden Forellen. Flitzen weg mit rotem Bauch, bachauf, biegen ab, in den Nebenbach. Das Licht spielt auf dem Wasser. (Irsee, 1.8.)