Das Kommende

Allein in dem Palast, aber über den See kommen die Lichter und scheinen nach einer Bleibe zu suchen. Dunkel wie die Täfelung ist das Wasser, eine Stille unterbrochen nur von Kühlaggregaten. Wenn ich hinunter zum Seeufer gehe, muss ich in Schlangenlinien gehen. Und weiß schon auf den Serpentinen, dass unten niemand sein wird. Dann blick, sag ich mir, über den schwarzen Spiegel, schon schimmert darin das Künftige auf – wohin ich mich auch wende, die Nacht, die Widerspiegelungen, alles Zukunft. Ich möchte sofort ein Gespräch mit einem Freund führen. Ich bin ohne Töchter angekommen und ohne Hast, mein Zimmer hat Sarggröße, aber über dem See liegt weiter das versöhnliche Dunkel. Berliner weltverengendes Gespräch ohne Vorstellung, wie es irgendwem geht. Häppchen Chicoréeschiffchen.
Ein Freund sagt dir endlich ernste Worte, bevor er aufbricht zur U-Bahn, weil es keine Betten gibt. Jenseits der moosigen Bahnsteige das Seeuferdunkel. Licht leuchtet, wo geschlafen werden muss. In diesem Palast habe ich mit dem Mondgesicht getanzt, hier war die Vergangenheit jedes Mal zu Ende und hängen immer noch Trugschlüsse an den Wänden. Und auch darin schimmert das Kommende auf.

Ich zähle die Zahlen

Ich zähle alles ab: die Zigaretten am Tag, die Gläser Wein, die Zuckerwerte. Die Regengüsse und die Mohnblumen an den Straßenrändern. Die Straßen. Die übersetzten Gedichte, die redigierten Gedichte, die geschriebenen und ungeschriebenen Bücher, die Regenfäden und die Spiegelungen des aus den Traufen in die Straßen stürzenden Wassers. Die schlaflosen Nächte. Die Träume. Die Filme. Die Laternen und ihre Lichterkegel. Die gesammelten Lieder. Die vergessenen Tage. Die ungezählten Jahre. Die Erinnerungen an den Mohn auf den nördlichen Inseln und den südlichen. Deine Finger. Meine. Herzschläge. Einschläge. Die bösen Worte und guten. Die Freunde, die gingen, und die, die blieben. Ich zähle die Zahlen. Ich zähle die ungezählten, die unzählbaren Augenblicke, in denen ich noch glaubte und glaube und glauben werde. Woran? Nicht an die Summe. Nicht ans Zählen und nicht an das einzelne Stumme. (20.5.)

Fahnenflucht.

Falscher Jasmin.

Blossom.

Rimbauds Klavier: Da der Mutter das Geld für eines zu schade war, schnitzte er sich die Tasten in den Küchentisch und spielte darauf stumm.

Peter Tschaikowsky – Dornröschen

Mit der Hitze werden die Morgenvögel kommen, die hellblauen Zwischenräume, Musik.
Ich weiß es schon jetzt, der ewige Sommer geht weiter. Diese Wolkenschiffe sollen bitte die ganzen Kellerrolltreppen auf den Schrottplatz für Dunkles verfrachten. Winter war es sieben Jahre lang.
Totentänze. Immer im Kreis. Immer im Kreis. Im Kreis. Immer. Immer. Sommer.
Immer Sommer, der Sommer, der jetzt kommt.

Midlake – The courage of others

Immer öfter sehe ich Tote – Menschen auf der Straße oder im Bus, die Gestorbenen zum Verwechseln ähneln. Was wollen sie mir sagen? Dass der Tod nichts als Schein ist?

Die Felder, Feldwege, die Weide im Wald und die Häuser in dem Dorf, wo du vor 30 Jahren gelebt hast, alles wirkt altgeworden, widerständig zwar, aber angegriffen von der Zeit und ihren Vergänglichkeitsstrategien. Alles wirkt, wie du dich selbst empfindest, und so frag dich: Sind die Felder und Wälder und die Häuser ein Teil von dir, oder bist du noch ein Teil von ihnen? Beides wohl. Und damit das so bleibt, musst du immer wieder dort hinfahren – in das Dorf, mit dem letzten Haus vor der Weite.