Hvide Sande

Hvide Sande, AbendIn den Grasdünen eine ganz eigene Landschaft – die nur sich selbst gehört, d. h. dem Meeresstrand, d. h. der See. Die grünen Wellen, das wogende Gras, die Sandbrandung. (Søndervig, 18.7.)

Ein Regentag in Jütland. Alles scheint langsamer in einem warmen Wind, sogar die großen Seemöwen über den halb in den Strand gesunkenenen Geschützbunkern.

Die unaufdringliche Akkuratesse und schlichte Schönheit der dänischen Häuser – so stelle ich mir Inneneinrichtungen im antiken Griechenland vor. Europa und seine Zimmer.Das Klatschmohnhaus

Auch das mal so stille, schöne, beschauliche, dabei stets eigene, bedächtige und achtsame Dänemark – nur mehr Einkaufszentrum, Gewerbemischgebiet, der quasi-amerikanische Schatten seiner selbst. Farvel, Danmark.

Ja, das bist du: in den Dünen der Eisverkäufer im Dauerregen. Der mit dem glückselig hoffnungsfrohen Lächeln – das ihm aus dem Gesicht rutscht.

Baum und WolkenDie Wege auf Hvide Sande, die vom Strand landeinwärts durch die Dünen führen, heißen nach an der Landzunge gestrandeten Schiffen – ganz so, als könnten die Namen den Schiffbrüchigen, die Flüchtlinge geworden waren, Wegweiser sein. (Lyngvig Fyr, 21.7.)

Jeden Morgen und jeden Abend suchen sie ihre Sträucher auf, ihr Gras und ihre Wege durch die Luft: zwei Feldhasen und ein Schwarm Stare. Dünenhasen, Dünenvögel, hier zu Haus.Schleierwolke

Wie weit die Weite, wie blass und alt und voller Kraft die Farben, je weiter du nach Norden kommst! Das flache Land allein kann das nicht erklären. Das Erklären scheint abzunehmen, es hört im Norden ebenso auf wie im Süden.

Shanghai Express

Dottergelber Hügel aus Metall,
mit weißen Masten auf der Spitze,
einem eingeschneiten Städtchen,
so schiebt sich der Autotransporter
flussabwärts wieder vorbei Richtung
Atlantik. Es ist ein blauer Herbsttag.
Ein weites Licht. Und der würzige
Duft von verlöschendem Sommer.
Du hast Vorahnungen. Auf dich zu
stürzt das Alter, und herfliegen Bilder
des ganzen Lebens, die bleiben wollen.
Die Shanghai Express, die viel zu schnell
hinausfuhr vor ein paar Wochen und
verblüffte Väter und kleine Kinder
auf schwarze Molensteine warf:
Verletzt von zu hoher Bugwelle.
Es ist warm. Jetzt wär noch Zeit,
in der Elbe schwimmen zu gehen.
So ein lichter heller Spätnachmittag.
Das gelbe Schiff kommt, das Wasser
ist eiskalt, es ist tief, und du bist allein.

Wirst du besessen?

Auf dem Parkplatz der Bürostadt war Markt, eine blaue Krähe stocherte in altem Laub nach Kirschen. (Hammerbrook, im Juli vor neun Jahren)

„Sterben ist wie ein Biß, der endlich sitzt.“ Nicolas Born

Alles an dem Polsterer, der den alten Sessel begutachten kommt, sieht gepolstert aus: Schuhe, Nase, Bauch, die Augen. Was er sagt, klingt gepolstert, Wörter wie Sofas und Sätze wie Sofaecken. „Wird er besessen?“, fragt der Polsterer und deutet auf den Sessel, so, als würde er nicht wagen, den Sessel selbst zu fragen.

Als ich in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs die Neonreklame in einem Schmuckgeschäft las – Beju –, dachte ich augenblicklich an Paul Celan. In dessen letztem Gedichtband „Lichtzwang“ von 1970 heißt das vorletzte Gedicht „Du sei wie du“, und Celan lässt die Titelzeile ausklingen mit einem „immer“: Du sei wie du, immer. Die Angst, die Profanisierung der Poesie könnte mittlerweile viel weiter fortgeschritten sein, als ich glauben mag. Doch ist „Beju“, so fiel mir nach stunden- – stunden-! – langem Grübeln endlich auf, natürlich ein Wortspiel mit dem französischen Ausdruck für Schmuck: bijoux. Aber doch nicht nur. Be you. Eigentlich ja: be yourself. Und Celan rückt wohlweislich ein schmales, aber so bedeutsames „wie“ zwischen dich und dein Du. Denn dein Bild von dir, das wirst du nie erreichen. Immernie. Sosehr du dich damit schmückst. (St. Georg, 16.7.)

Schon mal mit einem geliebten Gedichtband in der Gesäßtasche in einem hochsommerlich aufgeheizten Dachboden gestanden, im Wespenlicht? Ein echtes Erlebnis.