Das Gras in eigener Sache

Das Gras wächst weiter – dass das jedem – und jeder – klar ist. Das Gras leistet Widerstand. Denn es ist im Widerstand. Wogegen? Gegen das Ausradieren, das Tilgen, das Plattmachen, das Zubetonieren der Zweifel und der Widersprüche. Das Gras wächst, es wendet sich gegen das Gestutztwerden, gegen alle, die aus Mangel an eigener Fantasie glauben, das Andere plattmachen und in die eigene Enge treiben zu müssen, ja zu können. Nichts da. Hier wächst es, das Gras. Es hat keine Meinung. Es vertritt keine Überzeugung. Aber es weigert sich und es wehrt sich. Das Gras wurde in den vergangenen Wochen angegriffen, „gehackt“, wie man heute so sagt, von wem, mag dahingestellt sein. Weswegen? Weil das Gras offen ist. Seit zehn Jahren wächst hier das Gras. Gedichte entstehen im Gras, Bilder bilden sich heraus im Gras, Lektüren werden im Gras überdacht, Stimmen gehen durch das Gras, das Verschwinden ist im Gras überall spürbar. Das Altern. Das Lächeln als Widerstand. Der Kummer, die Trauer, die Freude am Dennoch, die spürbare Stärke des Immerweiter. Das Gras wollte schon des Öfteren aufhören zu wachsen. Noch aber wächst es. Dem Bot oder den Programmierern des Bots, der das Gras angreift, ist derlei völlig gleichgültig – so gleichgültig, wie das Gras überhaupt jemandem ist. Das Gras ist ein Inbegriff der Belanglosigkeit. Das gibt ihm seine Freiheit. Es wächst – und damit ich, und damit hoffentlich auch du.

Noch immer hebt so ein Satz in mir an, den ich dann fiebrig, wie panisch, abtaste mit der Frage (an wen?), ob er ein Vers sein könnte. Heute, inzwischen, gehe ich lieber Wäsche aufhängen, als dass ich mich krumm mache für das nächste Elaborat.

Nicht für Seelenkundler: Mit einem Mal musste ich mir die Nägel schneiden.

Das Schneeinvestment!

Echo & The Bunnymen – Heaven up here

Welcher Schnee ist unsichtbar? Der von gestern. Und der von morgen.

Vom Stumpfsinn zum Starrsinn und zurück. Putins Truppen überfallen die Ukraine. (24.2.22)

Die Pracht des Lichtgefunkels auf dem Fleet: Mit jedem Windstoß verändert sich die Gestalt des Funkelflecks auf dem Wasser. (Seltsam angerührt von der Bewegung.)

Roma Termini

Der dunkelblaue Ventilator
    eines Septembergewitters
        rotiert über Trastevere.

Ohne Schirm, nur im Hemd
    unterm alten Maulwurfkostüm,
        läuft er im Regen zum Fluss,

vorbei an einem Zentaur: Junge,
    junges Ding auf den Schultern.
        Gioletti. Letzte Pferdetram.

Schwitzend, mit Stützstrümpfen
    eine abgetakelte Schwuchtel,
        so sitzt man nicht im Greco.

Und mitten auf der Piazza Cavour
    ein zahnloser Mensch, genäht
        in Sacktuchfetzen, genau

da auf dem nachtdunklen Pflaster
    lümmelte Bosie am Cafeteriatisch
        in der Sonne, Weste, Hut weiß,

grinsende Muttergotteserscheinung.
    Auch der Lebensbogen hat sein
        Gedächtnis. Darum ist man ja

niemals allein, selbst der nicht,
    der für sich sein will, wenigstens
        in den schlimmsten letzten Momenten.

Antwort aus der Stille

Das Gras wächst weiter, meistens wächst es nachts. Mitunter wächst es stundenlang, dann wieder für Wochen gar nicht. Das Gras, so scheint es, wächst wann es will, nach grüner Lust und grüner Laune. Nur ist das Gras ja gar nicht grün. Das Gras lacht, wenn wer vorbeigeht, der vom schönen Grün des Grases schwadroniert. Ich träume zuweilen von Gras. (Und auch im Traum ist es grün.) Der leichte Wind, der durch die Halme streicht, wie die Hand eines zurückgebliebenen kleinen Kindes (würde Bove vielleicht schreiben). Einmal (gestern Nacht) kam mir aus dem Gras der weißblonde Kopf meines toten Hundes Helge entgegen. Ich verdanke dem Gras so vieles. Vor allem das Wachsen. Das Gras wächst nämlich stets, nur eben im Verborgenen. Und in der Farbe, die es sich selber wählt.

„Seine Fehler sind nichts wert“, sagt ein junger Mann, der vorbeigeht, und gibt mir bis zur Kreuzung zu denken, bevor ich ihn für immer vergesse. (Hoheluft, 22.1.)

Bill Evans – Everything digs

In seiner Tragik und seinem Witz wie in seinem Ton und seiner Satzkunst Kafkas „Schloß“ ebenbürtig ist Genazinos „Abschaffel“-Trilogie.

Liebesbekundung: Ich stecke das Buch in die Gesäßtasche – Peter Handkes Stunde der wahren Empfindung.

Wie du Bands anhand ihrer Namen unterscheidest, kannst du Käse anhand seiner Namen unterscheiden.

Dann aber bist du mit einem Mal wieder da, und die Nebelwand löst sich auf. Plötzlich bist du wieder Brücke, aus dem Nebel, Antwort aus der Stille.

Im Uhrmacherladen das Ticken im Herzen der Welt.

Eine alte Bekannte getroffen – mit wie wenigen Worten sie mir etwas von Bedeutung sagte.

Du musst erkennen, dass du die Unmöglichkeit zur Vermittlung der Ereignisse und Konflikte nur durch die Gestalt überbrückst – und dass insofern die Poesie zumindest die Erwiderung ist auf Trakls Diktum, man könne sich nicht mitteilen, ja wenn nicht gar die Widerlegung.

Victor Hugo nennt Rimbaud „Shakespeare enfant“, und Rimbaud nennt die eigene Dichtung „absurde, ridicule, dégôutante“, abstrus, lachhaft, widerlich.

Echo & The Bunnymen – Ocean rain