Problèmes des riches

Wer noch die Zeit findet und den Mut dazu hat, kommt immer wieder zurück zu Rimbaud, um sich zu befragen – nicht nur zu fragen –, wie es sein kann – was? Trotz allen Stumpfsinns da zu sein, noch und wohl auch zumindest morgen. Wie es, nein wie sie sein kann, diese umfassende Gewaltverwicklung der Welt und immer näher rückend sogar bis zu dir hineinverwickelt in deine Umwelt oder Unwelt – wo doch zurselben Zeit in dieser Um-, Un- oder Ohnwelt auch ein Sperling tschilpt. Von drei Menschen weiß ich, dass sie Rimbaud aufrichtig zu verstehen und zu begreifen versucht haben – und dass Henry Miller, Enid Starkie und René Char Jahrzehnte benötigten, bis sie ihre Annäherungen annähernd auszudrücken vermochten. Mich macht der Junge mit der inneren Hydra ebenso ratlos wie der Mann mit den Sohlen aus Wind. Rimbaud ergreift mich und stößt mich im selben Augenblick ab. Er ist die sternenklare Nacht der Poesie, ein Schwarzes Loch, in dem die Dichtung zusammengebacken wird zu einem Diamanten, der so scharfe Kanten hat, dass er dir die Hände zerschneidet, sobald du danach greifst.

Problèmes des riches.

Schon indem ich sage, ich will die Welt behalten, wie sie ist, desavouiere ich mich. (Und die Welt.)

„Wir schätzen den Wert Ihrer Immortelle“, las ich, auch wenn dort Immobilie stand. (Neuss, 14.3.)

Die Straßennamen weisen uns nicht nur hin, ebenso weisen sie zurück in die Geschichte der Straße. Impasse des oliviers. Olivenbaumsackgasse, Olivenbaumstich oder -stieg. Am Ende der Impasse liegt ein Hof, umstanden von einstöckigen, geziegelten, gelb getünchten Wohnhäusern. Wo standen die Bäume? (Endlich wieder in Volx, 16. März 2024)

Abgesehen davon, dass „die Welt“ gar nicht behalten werden kann, wie sie ist – ich hätte sie ansonsten ja behalten, wie sie war. Behalten wann? Als die Welt so mir gehörte wie ich ihr.

Genesis – We can’t dance

Wann? Als es in den Dörfern und den Vorstädten noch die Stille gab, wenigstens zuweilen. Als die Kinder (wir) noch auf den Straßen spielten, in den Wäldern, auf den Feldern – wo ich überall herumlag und Löcher starrte in die Luft.

Ich sehe zur Uhr, als die Glocke schlägt. Ich sehe zur Uhr, weil die Glocke schlägt. Ich sehe zur Uhr, bis die Glocke schlägt.

Kranführer in der Unterwelt

Wenn es erst kein Münzgeld mehr gibt, was machen dann die Bettler? Womöglich werden sie ein Kartenlesegerät haben, und wir überweisen ihnen dann – online – einen Euro. Mein Herz sagt, dann ist die Zeit angebrochen, um ihnen Brot zu geben, einen Saft, ein Stück Obst. Die Münze ist ein Austauschmittel, non? Sie ist eine Währung, die Währung und Wahrung der Geste, und wenn sie ausbleibt – was folgt?

Franz Schubert – 9 Impromptus (Karl Schnabel, 1939 und 1953)

Mein Vater war Kranführer in Heidelberg. Heute ist er Kranführer in der Unterwelt.

Die Postbotin rumpelt auf ihrem gelben Rieseninsekt vorbei – hörbares Zeichen, dass die Packtaschen leer sind, die Briefe verteilt. Der Tag ist versendet und kann gehen.

„Du zahlst bar für die Wahl deines eigenen Schicksals.“ Tomas Venclova

Heute sah ich im Frost einen Lastwagen vor dem Fenster sich heben und senken, als atme er auf seinen sechs Achsen, als hole er Luft, atme ein und aus. Er hatte Arme, die er kurz vor Abfahrt verschränkte, dann fallen ließ und versenkte, tief wie in Hosentaschen.

Im eiskalten Pfützenwasser der Schneeschmelze baden die Tauben.

Grizzly Bear – Yellow house
The Sea and Cake – One bedroom

Am frühen Morgen den alten Wasserstrahl wiedergetroffen: „Ah, da bist du ja.“

Grizzly Bear – Horn of plenty
Band of Horses – Infinite arms
Grizzly Bear – Painted ruins

Niemand wird es je vernehmen – oder hat es je vernommen –, das unhörbare Orchester des Windes, wie es des Nachts den Busch vor dem Restaurant vis-à-vis hin und her schwanken lässt. Jeder einzelne Ast eine Stimme für sich, alle aufeinander abgestimmt. Dazu trommelt leise der Regen. Dezemberregen. Hin und her. Und dazu das Dunkel, der Gesang des Dunkels.

Katze: fleischfressende Fellrose.

„In diese Zeit also mußte ich zurück mit meinen Träumen.“ Klaus Mann