Die goldene Pistole

Immer ist da irgendeiner, der liebt Gold
-barren, -boudoirs & -badewannen, immer
versteckt sich ein Diktator in einer Betonröhre
& ruft „Bitte schießt nicht“, ein Hohepriester,
der falsche Posen & Wappen einstudierte,
die Elixiere nach dem Bad in zähflüssigen
Ölen des Bedauerns, die zig-fach potenzierte
Lebensdauer von Talismanen & Amuletten,
Plündern von Safes & Intarsienschmuckkästen,
Mondlicht auf Schwefel, Himmelschluckerfeuer,
& deswegen bricht es mir beinahe das Herz,
wenn ein Mann tanzt, der Gaddafis Pistole
in die Höhe reckt & dabei weiß, die Sonne
folgt allem Glänzen, & indes das Junge
älter wird, lacht da immer ein Rabe
auf dem Pfosten eines Eisentors.

*
Aus: Yusef Komunyakaa, Der Gott der Landminen
Übersetzt aus dem Englischen und mit einem Nachwort von
Mirko Bonné, Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2024

The Gold Pistol

Was erreicht Chandler, wenn er einer Figur „die moralische Statur einer Verkehrsampel“ attestiert? Abgesehen von seinem schönen und tiefen Witz – rüttelt das Bild wach, denkt man darüber nach und bezieht es gar auf sich selbst? Ist es mehr als das Aufleuchten eines Streichholzes und sein Verglimmen im Dunkel?

O Bamberg, deine gegeneinander schaukelnden Kleiderbügel klingen nach Glocken. (26.4.)

„Das Dunkel ist ein Ort, das Licht ein Weg.“ Dylan Thomas

Vor dem Haus knospen die beiden Platanen, sobald die benachbarten Kastanien nur blühen – sie haben abgewartet. Und wie die Knospen an den Bäumen kommen die Leute aus ihren Winterbuden und setzen sich vor die Cafés.

„Wir liegen alle in der Gosse, aber ein paar von uns sehen wenigstens die Sterne“, schreibt Oscar Wilde in seinem Stück „Lady Windermeres Fächer“ – wo das ein Mann über Männer sagt.

Am Morgen hat sich die getigerte in eine schwarze Katze verwandelt. (Paris, 16. Mai)

Krass, wie sie mich aufwühlt und zum Nachdenken bringt, oder vielmehr: nicht nur zum Denken, sondern auch zum Nachfühlen: Yusef Komunyakaas Dichtung. Nur bin ich mir nicht sicher, ob das wirklich noch, ob das wirkliche Poesie ist. Nein, schon indem ich das schreibe, fühle und weiß ich deshalb, dass ich mich irre: Und zieht Komunyakaa seine Antihaltung auch bis aufs Letzte durch, so ohne den hohen Ton oder den archaischen Ton, ohne das Gedicht in seiner Überlieferungsvielfalt unter dem Vorwand einer différance kaputtzuschreiben oder sich gar darüber spottend erheben zu wollen.

Komunyakaas Personae, die bis ins alte Ägypten zurückreichen, bis in die afrikanischen Kulturen voller Tier- und Naturgottheiten – wieso schreibt er nicht über Ezra Pound, klammert ihn regelrecht aus? So vieles könnte er spiegeln, der fast Gestorbene. Je tiefer ich mich einlese, umso stärker das Gefühl von einem Vorwand des Politischen, wo Komunyakaa die Grenzen doch erst wirklich durchbrechen könnte, würde seine Poesie nur mehr hinnehmen – und reflektieren –, z. B. Pounds Affronts.

In dieser Woche in Paris las ich immer wieder und übersetzte schließlich Yusef Komunyakaas Gedicht „The Gold Pistol“ über Umtriebe und Ende Gaddafis. Wie zum Glück noch immer in solchen von der intensivsten Lektüre verlebendigten Momenten hatte in ihrem Atelier in der Rue Daguerre die Malerin mit den lächelnden Augen und dem beständigen „Oui, oui, oui!“ auf den Lippen die Nachbildung eines goldenen Colts liegen – ein Spielzeug ihres Sohnes, wie sie meinte, ein James Bond-Gimmick.

The Gold Pistol

There’s always someone who loves gold
bullion, boudoirs, & bathtubs, always
some dictator hiding in a concrete culvert
crying, Please don’t shoot, a high priest
who mastered false acts & blazonry,
the drinking of a potion after bathing
in slow oils of regret, talismans, & amulets
honed to several lifetimes of their own,
the looting of safes & inlaid boxes of jewels,
moonlight on brimstone, fires eating sky,
& this is why my heart almost breaks
when a man dances with Gaddafi’s pistol
raised over his head, knowing the sun
runs to whatever shines, & as the young
grows old, there’s always a raven
laughing on an iron gatepost.

Aus: Yusef Komunyakaa, The Emperor of Water Clocks,
Farrar, Straus and Giroux, New York 2015

Ryan O’Neal

Es gab Kostüme und Kulissen,
die stärker als er selber waren.
Verloren hatte er sich aber nie.
Er fühlte nichts verschwinden.

Er liebte. Schnee seit Love Story.
Am Meer bei Malibu erfand er sich.
Er war der Driver, der verstummte,
und blieb doch immer Barry Lyndon.

Was war da, fragte er sich über drei
Jahrzehnte, 17 Filme lang, wer trug
Duelle aus mit Kindern, seinem Blut,
um sich danach nicht mehr zu finden.

Er mit gepuderter Perücke in Berlin.
Zum Flackern einer Kerze abgefilmt
im Zimmer eines Rokokogemäldes
– als wäre Welt nicht schon zu viel.

Vielleicht war Zeit für Kubrick Speed.
Das sollten Klügere als er ergründen.
Er fühlte nichts. Seit 1775 gab es kein
Entrinnen, keine Tür für Ryan O’Neal.

*

Zum Tod von Ryan O’Neal (1941–2023)
Erschienen in
Traklpark
Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2012

Die Dinge – hä? – the things?

Wer immer hier im Gras herumliest – bitte nicht vergessen, dass diese Einträge ursprünglich handschriftliche Notate sind, notiert in mein Notizbuch, plötzlich, überfallartig, nicht selten zu unmöglicher Zeit und noch seltener aus der Erinnerung. Das bringt es mit sich, dass die Zeit sich dehnt. Ich erinnere mich an die Anfänge des Grases vor elf Jahren, als ich schon einen Verzug zwischen Niederschrift und Posting von einem Monat als eklatant empfand. Eklatant? Ja. Der Verzug machte etwas mit mir, veränderte meinen Blick auf die vermeintliche Aktualität meines Schreibens. Der Verzug verzog mein Schreiben, verrückte es – ganz als würde das Gras über Nacht um einen halben Meter gewachsen sein. Diesen Verzug habe ich kultiviert. Er beträgt derzeit acht Monate. Er hat schon einmal anderthalb Jahre betragen! Das Gras wächst nach seinen eigenen Maßstäben, den Umständen (meines Lebens) entsprechend. Aktualität ist Sache des Grases nicht. Und das … ist kein Grund zur Entschuldigung.

O die Süße der Stille. Und erst deiner Haut. (12/4/23)

Jeder Hund, der dir entgegenkommt, hält die Einkaufstasche, die du trägst, zunächst für einen Hund. Und du, nach der Begegnung – wofür hältst du deine Tasche? Und wofür den Hund?

In Schrittgeschwindigkeit fährt ein junger Mann auf einem E-Roller neben seinem Freund her und unterhält sich dabei mit ihm – eine völlig neue Weltsituation.

Es bleibt keine Verbitterung, nur die Freude angesichts des Vergangenen. Ich habe immer geliebt, gestaunt und mich gewundert, die Bitterkeit soll zum Teufel gehen. Haben solche Sätze noch irgendwelche Aussagekraft? Sie müssen. Ein Zurück gibt es nicht, es sei denn in den Lektüren – und auch dort nur der Anschauung halber.

Neben dem Porsche leuchtet in der Nacht ein Lichtpfad auf: zur Heckklappe! Als sein Eigentümer die Klappe schließt – der Wagen schließt sie für ihn –, erlischt der Pfad, und in der Straße wird es dunkel.

Genesis – And then there were three …
Genesis – Wind & wuthering
Genesis – A trick of the tail

Jeder Krieg ist ein Messer, ein Gradmesser. Er zeigt an, wozu wir Menschen imstande sind, hier und jetzt – und wovon wir abgehalten werden allein durch die glücklichen Umstände, in denen wir leben.

Dir müssen die älteren Jahre zu denken geben – du hast dich, seit du Kind warst, darauf vorbereitet. Okay, die Entwicklungen überraschen dich. Die Wiederkehr des Politischen in seiner Vehemenz. Aber gut, sie wollen es so, oder? Again the Stumpfsinn. So vieles wäre möglich zurzeit!

Wilde ist wirklich, Oscar is real, wirklich auch als Spiegel unserer Zeit. Ihre unfassbare Dekadenz und damit einhergehend ihre vor sich her getragene Fühligkeit. Keinen Augenblick lang glaube ich einem oder einer von ihnen, es gehe um „die Natur“, „die Welt“ oder „Umwelt“. Du erkennst die Leute an ihrer Sprache – und ihrem Schuhwerk.

Natürlich, die Dinge – hä? – the things? – müssen sich ändern. Ist das nicht ihre Aufgabe? So geht es ja nicht weiter, schon deshalb nicht, weil die Jungen aufbegehren, zu recht. Nur ist da Maß gefordert, Umsicht, Gerechtsein. Es sollte, stünde es zur Wahl, die Welt hingegeben werden, um die Alten ebenso zu verteidigen wie die Kinder. Ja, an diesem Punkt bin ich bei Wordsworth, wenn er sagt: that we have all of us one human heart.