Unter den Fingernägeln die Geschichte

Die Frau von der Katzen-Nothilfestation: Vierzig Tiere leben bei ihr und ihren zwei Kindern in der Dreizimmerwohnung. Von jeder Katze kennt sie die Geschichte.

An der Supermarktkasse steht ein junger Mann und legt jedes Lebensmittel fünfzigmal aufs Band: 50 Bananen, 50 Packungen Margarine, Brot … Die Kassiererin lächelt, scannt alles ein Mal ein und drückt die 50, während der Käufer das Geld abzählt mit zehn blau unterlaufenen Fingernägeln (Alsterdorf, 22.11.).

Dein Lebensweg als aufgegebene Bahnstrecke: Du besuchst verlassene Stationen, Bahnhofsgebäude, Übergänge, Signale und Weichen. Was war dort? Wie lang ist das her? Warum nicht mehr? Was suchst du noch hier?

Das Gegenteil von Schnee

In der Kälte am Millerntor sitzt in eine weiße Daunendecke gehüllt im Hochparterre am offenen dunklen Fenster eine junge Frau und raucht zur Straße hinaus. Sie wirkt eingeschneit, als hätte es stundenlang nur in ihr Fenster geschneit, doch ist genau das Gegenteil der Fall (St. Pauli, 21.11.).

Das fremde Gesicht

Ein Blick durchs Türglas in das fremde Gesicht: Einer kommt, und einer geht. Die Sekunde, da die Blicke sich begegnen, verbindet – für alle Zeit, die das Gedächtnis euch lässt.

Ein Zuwendungsförderungssystem!

„Woher nehmen Sie diese allumfassende Resignation?“, fragt nach der Lesung ein junger Mann im Publikum. Antwort: Ich nehme sie nicht, sondern nehme sie wahr und weise sie zurück – schon indem ich dennoch weiterschreibe. (Auch hierzu Handke: „Wer sagt, daß das Scheitern notwendig ist?“) (Kiel, 20.11)

Weiter

Sei immer wieder auch gewiss: Der Fluchtweg, den du fandst, war der einzig mögliche (für dich) und damit der richtige. Weil, so simpel sich das sagt und so schwierig es anzuerkennen: Da ist kein Weg zurück. Weiter und weiter, und dann weiter, und weiter. Und geht es nicht weiter, geh weiter. Krabble, krieche. Und liegst du, zucke. Wie der Hund zuckt im Schlaf, wenn er träumt, er läuft (19.11.)

John Dowland leaning forward

„Das Gewicht der Welt“ (Handke): nicht, der Welt das Gewicht nehmen, der Welt ihr Gewicht lassen!

Wirbel

Oben am Bahndamm hängen wie große seltsam unnütze Lampions Arbeiter in orangegelben Warnanzügen in den Bäumen. Eine kleine grüne Lok bewegt das Gerüst, das sie von Astwerk zu Astwerk fährt, und noch tief in der Nacht leuchten ihren Sägen die Scheinwerfer und schälen die Gärten, Hecken und Bäume lebendig aus der Dunkelheit: Knacken von Ästen, heller Sturz auf Metall, und das Lachen der Männer in der Schwärze (17.11.).

Laubbläserquintett

„… dann gingen sie in den Vergangenheitswirbel hinein.“ – „Und wie sah der aus?“ – „Er war blau.“

Selbst für kurze Zeit

Dieser Tag, ein diesiger 16. November, war vor 37 Jahren mein erster nach dem Umzug vom Tegernsee an die Elbe, in die neue Welt – und noch immer dauert er an. Erst gestern Nacht sah ich zum ersten Mal das dunkle Haus, die leeren Zimmer, den grauen Garten, die fremde Straße, die schnurgerade ins Marschland hinauslief und sich dort zwischen lauter Treibhäusern verlor (Curslack, 16.11.).

„Man darf sich nicht vor der Zeit ängstigen, sich nicht quälen lassen von dem, was noch nicht ist, so bedrohlich, so nahe es auch sein mag.
Einfach nur schreiben, damit es vor sich hinsummt. Stärkende Worte; nicht um zu beeindrucken, sondern um zu schützen, zu wärmen, zu erfreuen, selbst für kurze Zeit.
Worte, um den Rücken wieder aufzurichten; wenn man schon nicht in den Himmel entrückt wird wie die Gerechten.
Bis ans Ende, entknoten, selbst mit gichtknotigen Händen.“
(Philippe Jaccottet, aus: „Notizen aus der Tiefe“, übersetzt von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz)

Automático

„Eine kluge Frau, im Körper eines Mädchens.“

„Automático“ steht, hellblau, handgeschrieben, auf jedem elektrischen Händetrockner in den Toilettenräumen des portugiesischen Lokals, so als wollte einer daran erinnern, dass dort aus der Wand nicht etwa der warme Wind, der Mistral kommt (Hamburg-Neustadt, 15.11.).

Ein junger Mann mit einem hoch erhobenen Bogen Papier in der Hand übt allein mit seinem Spiegelbild in den Waggonfenstern Walzerschritte auf dem leeren Bahnsteig. Als er abgefahren ist, tänzelt in der Kälte eine Schaffnerin von einem Bein aufs andere.

Ein Tag

Am Morgen, im schönen Licht und draußen bei klarer Luft (o herrlicher November!), da wirbeln dir mit einem Mal die Verse nur so durchs Gedankengeäst. Rote Baumkronen, gelbe, blauer Spätherbsthimmel – ein Tag zum Gedichteschreiben, an dem du aber keins schreibst: ein Tag, nur ein prächtiger Tag (13.11.).

Das helle Treppenhaus wartet, bis du kommst, die Tür öffnest und auf den Stufen bist. Dann wird es dunkel –.

In dieser Kälte

Mitte achtzig ist der Vermieter, der in der Schreibmansarde – Dienstmädchenzimmer, als er ein Junge war –, die Heizung repariert: „In dieser Kälte können Sie nicht arbeiten“ (12.11.).

Im Garten der Erdreichgeruch unterm Ahornlaub. Die Meisen. Und ihre Vorfreude.

„Da kommt der Kellner“, sagt laut die Mutter über ihren Sohn, den Dichter, der in weißem Hemd und schwarzer Hose aufs Podium klettert.

In der Dunkelheit, es klingt wie auf dem nächtlichen Friedhof, läutet ein Schulgong. Da – ein Fahrrad mit dem Sirren einer Wildgans.

Juni

Wieder in den Wicken erwacht,
am Morgen, auf der blauen
Bank im Gras. Schlaf,
Jelängerjelieber.
Immer noch war
der Bienenmonat,
in dem ich zur Welt kam,
am längsten der mir liebste.
Siebenundvierzig Sommeranfänge,
und zu erinnern nicht einer,
Juniwärme, Juniaugen,
Blicke, ich, allein,
und überall du
du, der Duft.

Unter Saturn

„Auf der Balustrade, unter der großen Saturn-Leuchtreklame warte ich auf dich“, sage ich ins Telefon zu N. H., als ich ihn am Hauptbahnhof abhole. „Bis gleich, unter Saturn.“ Vor sieben Jahren übersetzten wir gemeinsam Yeats, auch sein Gedicht „Under Saturn“. Mir fiel der Zufall, das laut gewordene Unbewusste gar nicht auf, N. augenblicklich – Sprache der Welt! (Hamburg, 11.11.)

Zu Ende gehen fünfzig Jahre in der Geschichte der Innviertler Bauernfamilie Goldberger mit der Beschreibung eines (weiteren) Sonnenaufgangs über dem alten Land, vermeintlich menschenleer (bis ich dachte: Einer muss das Licht wahrnehmen. Wer? Du!): Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman „Roter Flieder“.

Die Augen deiner Augen

„Wusstest du, dass wir Geschmacksnerven nicht nur auf der Zunge haben, sondern fast überall am Gaumen und im Rachen?“ – „Nein, wusste ich nicht. Aber ich schmecke es.“ – „Ja, ich auch!“ – „Aber weißt du, dass wenn du die Augen schließt, nach innen die Augen deiner Augen aufgehen?“ – „Hab davon gehört.“ – „Und ich stand am Rand des nächtlichen Brunnens in mir und sah hinunter bis auf den Grund innen auf meinen Fußsohlen.“ (10.11.)

Draußen

Draußen harken die Nachbarn ihr Laub zusammen. Ich harke hier drinnen mein Laub zusammen. Draußen beschneiden sie Bäume. Drinnen lasse ich sie blühen, pfropfe und kappe. Es ist Herbst, Sommer, Winter und Frühling zugleich. Draußen mäht einer noch ein letztes Mal den Rasen. Mein Gras hier drinnen hält keiner auf.

Je älter wir werden, umso langsamer gehen wir nach Haus.

Illusion: Gemeinsamkeit. Illusion: Gemeinsamkeit.

Asyl

„Die Bibel ist ein Märchenbuch“ – seit Jahren ein Wandspruch auf den Plakatwänden der Stadt, immer in derselben Handschrift. Ein Ein-Satz-Evangelium.

Optivit fortissimum!

In Wolgast demonstrieren Rechtsradikale. Was? Ihren Stumpfsinn. In Wolgast wurde Runge geboren, dort lebte und malte er. Raus mit Runge? Asyl den Verlorenen. Asyl uns allen. (9. November 2012)

November

An der Rückwand des Küchenpavillons lehnte Kent Nagano und tastete mit Blicken fragend mein Gesicht ab, ob ich ihn erkenne. (Ich ließ mir nichts anmerken, ging vorüber und hörte stumm Brahms‘ Dritte.)

Ein ganzes Feld voller Kraniche, grau, in Wellen sich über das graue Gras bewegend wie der Novembertag (Bei Fehrbellin, 9.11.).

Bild: Kent Nagano © Merkur

Instandhaltung

Verwirf (endlich!) die Vorstellung von der Möglichkeit zur Wiederholung. Weder ist etwas zu wiederholen noch wiederzuholen. Rekonstruktion, Instandsetzung, kommt nicht in Betracht (kannst du vergessen). Erinnerungen: Instandhaltungswerk. Und nicht du hältst schreibend Erinnerungen instand, sondern sie dich – eine, deine Vorstellung von dir, deiner Geschichte, deinem Geschichtetsein (8.11.).

Sag mir bitte

Vier Stunden lang war für mich der Andere, war Mitt Romney Präsident geworden. Im Traum zwischen vier und acht Uhr morgens sah ich Barack Obama weinen, eine entschuldigende Rede halten, Florida jubeln, Ohio und Colorado. Als ich aufwachte, gab es zwei Welten, und für Stunden glaubte ich weder der einen noch der anderen.

„Sag bitte, wovon redet der Wind, wenn er durch die Bäume fährt?“

Kalifornien: Zeitgleich mit der Wahl des US-Präsidenten, des  Senats und Repräsentantenhauses wurde über die Abschaffung der Todesstrafe abgestimmt. Sie bleibt bestehen. Siebenhundert zum Tod Verurteilte würden, heißt es, auf ihre Hinrichtung warten (7.11.). Sie warten, ich mit ihnen, auf Gnade.

„Die Provence gibt’s jetzt im Supermarkt.“

Themen

Tagesthemen: Chrysanthemen

Die weiße Aubergine – zurück aus der farblosen Welt

„Ein Ton – der Tod – ein Ton – der Tod – ein Ton – der Tod“
(Wolfgang Rihm)

Vom Ich zum Du

Das erste Wort, das Wolfgang Rihm in seinem Gespräch mit Ulrich Greiner in den Mund nimmt: Musik. – „Musik ist ja wie ein Wind“, sagt Rihm und spricht vom Schock, grundtief, auf Gedeih und Verderb irgendwann doch „Ich“ sagen zu müssen. Bei Bach, Wagner und Schumann höre er Kraftlinien, die ihn zum Weinen bringen, und eine dieser Linien, unzweifelhaft, sei der Zweifel, die Ungesichertheit. – Und Systematik, Konzept, das Instrumentarium? „Mozart hören“, antwortet Rihm. Da liege er hörbar und sichtbar vor einem: „der Weg vom Ich zum Du.“ (Meßberg, 5. November 2012)

Drei Klammern

Im mittäglichen Nieseln kehren die Schulkinder auf ihren Fahrrädern heim, lachend, singend, und die Vögel in den Bäumen, unter denen sie hinfahren, auch sie singen (und lachen).

Nicht ohne Grund (und oft das Tiefste): die Todesanzeigen im Feuilleton

„Eine Zukunftsrente (noch ohne Namen)“

Das Kind, das Gras

Wie reich – ein Tag unter Kindern. Das dichterische Gemüt, sagt Keats, werde unter Kindern kindlich. Nur für ein Leben unter Kindern lohnt es sich, den dichterischen Blick … fahren zu lassen.

Nicht die Jahreszeiten verändern den Gesang der Vögel, – es ist umgekehrt.

Drei Stunden benötigen mein sechzehnjähriger Sohn und ich, um ein Bett aufzubauen – vielleicht das letzte Mal, dass wir die Köpfe über einem Bauplan zusammenstecken (4.11.).

Die Spinde

Jeden Morgen spürst du das Gift neu durch den Körper wirbeln, jeden Morgen sagst du erneut zu deinem Gift: Ja –, während das Gift von neuem beginnt, dich zu verneinen.

Ein Inbild: In der Sammelumkleide gibt es 47 Spinde, durchnummeriert. Meine Tochter hat Schranknummer 9, und sie ist neun Jahre alt, ich aber bin 47. Hinter jeder verschlossenen Spindtür kann ich mir ein vergangenes Jahr vorstellen, zurückrufen Sommer, Abschiede, Reisen, Musik, Umzüge, Bücher, Neuanfänge, Gedichte, ich kann an den Spinden die Spanne der Zeit ermessen, auch wenn sich keine Tür je wieder öffnet (3.11., Eppendorf).

Sterne

Quasarabsorbtionslinienspektroskopie

„Nach kurzer Zeit verließen sie das offene Land und drangen in den Wald; es wurde noch einmal kühler, was nach dem Wettrennen, das sie erhitzt hatte, angenehm war, sehr dunkel und sehr still; das Zikadengezirpe, welches sie eingehüllt hatte wie unsichtbar in den Wiesen liegende, dafür tönende Sterne, blieb hinter ihnen zurück, war bald nicht mehr zu hören.“ (Reinhard Kaiser-Mühlecker, „Roter Flieder“)

Die verlorenen Fenster

„Bonnés Traklpark ist mit Erinnerungen angefüllt, nicht ohne eine Prise Wehmut“, schreibt Tom Schulz in seiner Rezension im „Tagesspiegel“. „Bilder der Kindheit flackern auf, Orte und Lebenssituationen, als wolle der Autor die verlorene Zeit einholen. Die sprach-magische, an der Moderne geschulte Beschwörung einer brüchigen Erinnerungskraft, wie man sie in vielen Gedichten Bonnés findet, scheint das eigentliche Element seiner Poesie zu sein.“ Schulz irrt, ist es doch viel dramatischer! Nicht die verlorene Zeit einzuholen, versucht der Traklpark, sondern will vors Auge führen, wie Verschüttung geschieht und durchleuchtet werden kann: „Ich schreibe, um mich des Moments zu erinnern, als ich das schrieb“ (Claude Simon) – das Gedicht als Versuch, den Augenblick seines Entstehens zu konservieren, Gedichte wie im Bernstein Insekten, wobei nicht Inhalte, sondern Struktur und Form den Fortgang der Zeit dokumentieren.

Stille Vollmondnacht, in der Ferne, zartblass, steht mit einem Mal Orion.

Zwei junge Handwerker stemmen die Wohnzimmerfenster aus den Wänden. Binnen Minuten lebst du in einer rachenartigen Höhle, draußen die grüne Wildnis. Kalter Wind zieht durch die Räume, Papiere und Fotografien wehen aus den Regalen, vergeblich festgehalten von den Fensterbauern, deren Freude an ihrem Beruf hinauswirbelt (1.11.).

Glitzerrezession

„Die Menschen verstehen nicht, wie stark die Natur ist“, sagt New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, der Milliardär. Hat er Ezra Pound gelesen? „Die Ameise ist Kentaur in ihrer Drachenwelt. / Lass ab von Eitelkeit, nicht schuf der Mensch / Den Mut, schuf Ordnung oder Schönheit, / Lass ab von Eitelkeit, sag ich, lass ab. / Lerne von grüner Welt erkennen, was dein wahres Maß / An Erfindungsgabe oder rechtem Können. / Lass ab von Eitelkeit, / Paquin, lass ab! / Die grüne Schote hat dich ausgestochen.“

Glitzerrezession

„Nach vorn sehen musst du! Zu leben ist immer gut.“ Drei Biertrinker auf dem dunklen Parkplatz im Herbstwind. „Hörst du mich? Dreh dich um, und was siehst du?“ – „Schmerzen.“ – „Und morgen? Morgen gibt es keine Schmerzen.“ (Alsterdorf, 31.10.)

Unverbundene Ereignisse

Die Geschichtsschreibung, heißt es, forme aus „unverbundenen Ereignissen“ die Historie. Du also, aus deinen unverbundenen Erlebnissen, formst was? Das Erinnern? Das Gedächtnis? Das Bild, die Romane von dir? Die Gedichte? Dies hier, „Das Gras“?

„There’s only one flag I believe in, and that’s the white flag.“ (Bono)

Der New Yorker Holland-Tunnel steht unter Wasser, sieben U-Bahnröhren unter dem East River sind geflutet, dutzende Menschen kamen um, in New Jersey brach ein Damm, überschwemmt drei Kleinstädte, und vor der Küste North Carolinas sank der Nachbau der HMS Bounty – unverbundene Ereignisse am Tag von Hurrikan „Sandy“ (30. Oktober 2012).

Scharrbilder

Nachmittagsstunde im Krankenhauswartezimmer. Über den Bildschirm an der Wand flimmert zum Brummen des Kaffeeautomaten eine Doku über die seit ihrer Entdeckung vor beinahe hundert Jahren noch immer nicht erklärbaren Scharrbilder der Nazca-Linien. Wie Bilder von Schmerz und Sehnsüchten durchziehen die Gleoglyphen den roten Sand der Gebirge am Pazifik, wo im heutigen Peru einst Nazca und Palpa lagen. Die Bangigkeit, die Vergeblichkeit, die Verwüstung der Küste, der Aufbruch ins Landesinnere und der Trost der Neubesiedlung nach achthundert Jahren vertaner Opfer und Hoffnungen (St. Georg, 27.10.).

Die wiedereröffnete Freiheitsstatue hat seit heute eine Klimaanlage.

Steuererklärung: Hiermit erkläre ich, nicht zu wissen, wohin ich steuere.

Bewegung

Eiskalte Herbstnacht, der Mond mit Wolkencorona. Unsichtbar klettert durch die gelbe Ahornkrone ein Vogel oder Eichhörnchen: Lautlos, wie in punktuellem Wind, bewegt sich hier und da ein Zweig. Bewegung – Wege durch das Dunkel.

Noch einmal: Lichte Wege

Am Grab von Hermann Lenz und während des Gesprächs über ihn mit Norbert Hummelt denke ich zurück an den Sommer vor zwanzig Jahren, den letzten auf der kleinen Kattegatinsel Sejerø, spüre das Licht auf der Haut und die Regenwärme, liege wieder auf der durchgelegenen Matratze unten in dem Doppelstockbett im Vandrerhjem und lese Hermann Lenz‘ „Der Wanderer“ (Nordfriedhof, München).

Geldbombe: Wenn ich den festverkapselten Aluminiumbehälter aus dem Laden meiner Großmutter hinüber zur Bank trug, um ihn dort in den Geldbriefkasten zu werfen, stellte ich mir jedes Mal vor, buuumm! – die Geldbombe würde wirklich detonieren – und alle Scheine (so viele waren’s nicht …) durch den Himmel wirbeln und niedersinken auf die Straßen. (Am Münchener Hauptbahnhof, Beladen eines Geldtransporters, 26.10.)